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Das nichtige Strafurteil (OLG München zum nichtigen Urteil bei fehlerhafter Verständigung)

August 2, 2013

Der Beschluß des OLG München vom 17.05.2013 (2 Ws 1149/12, 1150/12) darf als kleine Sensation bezeichnet werden. Der Angeklagte war aufgrund einer getroffenen Verständigung, in deren Zuge er ein Geständnis abgelegt hatte, verurteilt worden. Wie es so häufig vorkommt, handelte es sich um eine „Hinterzimmer-Verständigung“, also eine nicht ordnungsgemäß protokollierte Verständigung.

Deutlich nach Ablauf der Rechtsmittelfrist legte der Angeklagte Rechtsmittel gegen das Urteil ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Rechtsmittelfrist. Dabei berief er sich auf die kürzlich ergangene Entscheidung des BVerfG (Urteil v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10) zu den hohen (insbesondere formalen) Anforderungen an die Verständigung in Strafverfahren.

Die Wiedereinsetzung wurde ihm verwehrt und so landete die Sache vor dem OLG München.

Das OLG München stellte fest, daß das Urteil an schwerwiegenden Mängeln litt. Die Vorschriften über die Offenlegung und Dokumentation der Verständigung seien mißachtet worden. Auch den erforderlichen Hinweis- und Belehrungspflichten sei das Gericht nicht nachgekommen. Schließlich habe es das Urteil auf eine Erklärung des Angeklagten gestützt, welche offensichtlich unzureichend gewesen sei und eine weitere Aufklärung erforderlich gemacht habe.

Hieraus leitete das OLG die Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils her. Ein Verfahrensabschluß in erster Instanz war damit noch nicht gegeben, so daß das Verfahren in der ersten Instanz fortzusetzen war.

Die „Lehre vom nichtigen Urteil“ ist nicht ganz neu, allerdings auch nicht unumstritten. So wird in der Literatur teilweise vertreten, daß der Grundsatz der Rechtskraft derart gewichtig sei, daß er nur in den gesetzlich geregelten Fällen (etwa durch die Wiederaufnahme eines Verfahrens) durchbrochen werden könne. Für die Annahme der Nichtigkeit eines Urteils sei daneben kein Platz. Die Rechtsprechung verweist dagegen darauf, daß ein Strafurteil nichtig ist, wenn seine Fehlerhaftigkeit so evident dem Geist der Strafprozeßordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung widerspricht, daß es geradezu unerträglich erscheint, es als rechtsverbindlich hinzunehmen. Dieses hatte etwa das OLG Köln (Beschluß v. 02.08.2002 – Ss 290/02) in einem Fall angenommen, in dem ein Bußgeldrichter den Betroffenen in dessen Abwesenheit in nicht öffentlicher Verhandlung verurteilt hatte, wobei das Gericht noch nicht einmal zuständig gewesen war und lediglich eine Vernehmung des Beschuldigten hatte durchführen sollen, wobei auch diese Vernehmung unzulässig gewesen wäre.

Einen derart seltenen Fall der Nichtigkeit eines Urteils hat also nun das OLG München bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Vorschriften über die Verständigung angenommen.

Die Entscheidung könnte für den Angeklagten allerdings mit einem Wermutstropfen verbunden sein: Legt nur der Angeklagte gegen ein Urteil Rechtsmittel ein, so gilt zu seinen Gunsten ein Verschlechterungsverbot. Da sich das Verfahren vorliegend indes immer noch in der ersten Instanz befindet, soll dieses Verbot vorliegend gerade nicht gelten.

Das nichtige erstinstanzliche Urteil soll für den Angeklagten zu einer vergleichsweise milden Strafe gekommen sein. Es wird abzuwarten sein, ob der Angeklagte nun eine günstigere Entscheidung erlangt.

RA Müller

4 Kommentare

  1. Wird er. Allein schon wegen der Verfahrensdauer, der bereits abgesessenen Strafe und dem Unrecht, welchem ihm durch das „falsche“ Urteil angetan wurde. Leider.

    Wenn man sich verständigt, dann sollte man auch die Eier haben und dazu stehen.


    • Bei dem Verurteilten soll es sich um einen Arzt handeln. Es könnte also sein, daß dieser erst nach der Verurteilung erfahren hat, welche berufsrechtlichen Konsequenzen das vermeintlich milde Urteil, das auf der Verständigung beruhte, hatte.


      • vgl hierzu Meyer-Goßner in Festschrift für Ulfried Neumann, 2017, 1349


  2. Der neue Verteidiger, der sich auf diese Weise die Rechtsmittelgebühr an Land gezogen hat, dürfte seinem Mandanten einen Bärendienst erwiesen haben.

    Er dürfte zu der Kategorie „Fachanwalt für lebenslänglich“ gehören.



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