Archive for the ‘Strafrecht’ Category

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Die verschwundene(n) Akte(n) der Staatsanwaltschaft

April 14, 2019

In einer Unfallangelegenheit mit einem nicht ganz unerheblichen Sach- und Personenschaden benötige ich Akteneinsicht in die Ermittlungsakte, um für meinen Mandanten dessen Ansprüche durchsetzen zu können. Der Unfall hat sich bereits im Oktober (!) 2018 zugetragen.

Im Dezember ist die Akte laut Polizei an die Staatsanwaltschaft (StA) übersandt worden. Letztere teilte telefonisch im Januar mit, daß die Akte dort noch nicht registriert sei, es aber durchaus einige Wochen dauern könne bis die Akte erfaßt worden sei.

Wiederholte Anfragen in den nächsten Wochen führten leider zu keinem anderen Ergebnis. Die Akte war bei der StA auch weiterhin nicht bekannt. Ich möge mich erneut an die Polizei wenden.

Die Polizei verwies wiederum darauf, die Akte ganz sicher der StA weitergeleitet zu haben. Ich möge bei der StA einen Nachforschungsantrag stellen.

Auch dem kam ich noch nach. Wiederum einige Wochen später erkundigte ich mich nach dem Stand der Nachforschungen, da ich von der StA auf den ANtrag hin keine Rückmeldung erhalten hatte. Wieder stellte die StA fest, daß die Akte dort im System nicht verzeichnet war. Der Nachforschungsantrag? Ja, der liege dann in einer gesonderten Ablage für Posteingänge, die keiner konkreten Akte zugeordnet werden könnten. Man schaue dann in regelmäßigen Abständen nach, ob nunmehr eine Zuordnung möglich sei. Meine erstaunte Nachfrage, ob man denn nicht gedenke, die Polizei zu veranlassen, die Akte soweit möglich zu rekonstruieren, erntete ein sinngemäßes „Nein, das machen wir nicht„. Ich könne mich aber gerne an die Polizei wenden und dort noch einmal nachfragen.

Der zuständige und tatsächlich auch sehr hilfsbereite Polizeibeamte teilte mir mit, daß er selbst bereits auf die Anrufe meiner Kanzlei hin, daß die Akte bei der StA nicht aufgefunden werden könne, eine Rekonstruktion der Akte veranlaßt habe. Die rekonstruierte Akte habe er der Staatsanwaltschaft übersandt. Sie fasse immerhin 60-70 Seiten. Ich solle mich aber nicht zu früh freuen. Diese Akte sei vor mittlerweile vier Wochen an die StA gegangen. Er wisse auch nicht, was er noch tun solle. Er könne sich nur vorstellen, daß die Akten in das Zimmer eines Mitarbeiters der StA gelegt worden seien, der möglicherweise krank/auf Kur o.Ä. sei.

Da die Polizei selbst keine (in Unfallsachen: über den Unfallbericht hinausgehende) Akteneinsicht erteilen darf, verblieb ich mit dem Polizeibeamten so, daß dieser auf ein Fax-Schreiben der StA wartet, wonach er mir die Akte per E.-Mail übersenden darf. Ein erneuter Anruf bei der StA führte schließlich dazu, daß man mich mit einem hilfsbereiten Oberstaatsanwalt verband, der sich nach erstem Bemühen, die verschwundene Akte doch noch selbst aufzuspüren, bereit erklärte, der Polizei das benötigte Fax-Schreiben zu schicken.

Ich zeige mich gespannt, ob die Akte nun tatsächlich noch eintreffen wird.

RA Müller

 

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Die Sache mit der Karotte

Dezember 27, 2018

Gegen meinen Mandanten wurde – wieder einmal – ein Ermittlungsverfahren geführt. Antragsgemäß übersandte mir die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte. Beigefügt war ein Anschreiben, das zunächst erläuterte, weshalb die Beweislage für meinen Mandanten eher ungünstig aussah und nach derzeitigem Sachstand davon auszugehen sei, daß er im Falle einer Anklage zu verurteilen sein würde. Gleichwohl könne sich die Staatsanwaltschaft vorstellen, das Verfahren gegen Leistung eines angemessenen Geldbetrages einzustellen, § 153a StPO, zumal mein Mandant nicht vorbestraft sei. Um die Höhe der Geldauflage bestimmen zu können, möge ich im Rahmen einer etwaigen Einlassung unter Beifügung entsprechender Nachweise zu den Einkommensverhältnissen meines Mandanten vortragen.

Ungläubig rieb ich mir zunächst die Augen, wußte ich doch um die eine oder andere Verurteilung meines Mandanten, auch wenn er sich diese sämtlichst zu einer Zeit eingefangen hatte, als er noch anderweitig verteidigt wurde. Der Akte lag auch ein aktueller Auszug aus dem Bundeszentralregister bei, der zwar noch kein Buchformat aufwies, mit 20 Eintragungen aber doch die eine oder andere Seite füllen konnte.

Da war man doch fast geneigt, dem Mandanten mit einem leichten Schmunzeln angesichts der „übersehenen“ Vorstrafen dazu zu raten, das Einstellungsangebot anzunehmen.

Tatsächlich stand der erhobene Tatvorwurf indes auf gar dünnem Eis und so fiel die Entscheidung gegen die Zahlung einer Geldauflage. Nach Abgabe einer entsprechenden Einlassung folgte dann auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs.2 StPO, mithin ohne Zahlung einer Geldauflage.

RA Müller

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Nimm zwei

September 19, 2018
Dieser Beitrag mag Spuren von Sarkasmus enthalten. Bei Bestehen einer Unverträglichkeit wird von dem geistigen Verzehr abgeraten.

Der Mandant öffnete die Wohnungstür und sah sich unversehens einer erzürnten Person gegenüber, die ihn für einen Nebenbuhler um die Gunst der ihm selbst bereits nicht mehr wohlgesonnenen Ehefrau hielt, welche der ehelichen Wohnung längst den Rücken gekehrt hatte. Die eiserne Überzeugung des Erzürnten trotzte erfolgreich allen aufrichtigen Beteuerungen meines Mandanten, daß die Annahme, mein Mandant bemühe sich um die Gunst besagter Dame, auf einem Irrtum beruhe. Von alkoholbedingter Enthemmung begleitet beförderte sich der Erzürnte zum Kontrahenten und hob die Fäuste, um diese auf Kollisionskurs mit dem Körper des Mandanten zu bringen.

Nachdem nun also Worte kein der verständigen Würdigung fähiges Ziel gefunden und auch körperliche Abwehrbemühungen nicht dazu geführt hatten, daß der Übergriff endete, griff der Mandant in Verteidigung des von ihm durchaus liebgewonnenen Zustandes der Schmerzlosigkeit zur nächsten Eskalationsstufe: Mit einer Hand nahm er einen Schlagstock. Dieser verfügte über eine ganz eigene Art der Überzeugungskraft, so daß der Kontrahent alsbald einsah, daß es nun möglicherweise an der Zeit war, von dem Mandanten abzulassen und dessen Wohnung den Rücken zu kehren.

Dem Mandanten, dem das Herze noch bis zum Halse klopfte und der eine Rückkehr des Kontrahenten befürchtete, griff sogleich zum Telefon und rief die Freunde und Helfer, welche auch alsbald erschienen. Sie nahmen die Schilderung des Mandanten auf und suchten den geflohenen Kontrahenten auf. Dieser bestätigte ihnen, daß er meinen Mandanten aus Eifersucht aufgesucht hatte. Es habe auch eine Rangelei gegeben. Dabei habe er meinem Mandanten „seinen Standpunkt unmißverständlich klargemacht„.

Mit diesen Schilderungen bewaffnet begaben sich die Freunde und Helfer zurück in ihre Trutzburg und … ja … nach reiflichem Überlegen wurden Strafanzeigen gegen den erzürnten Angreifer und meinen Mandanten gefertigt. Da der erzürnte Angreifer nur die Fäuste eingesetzt hatte, sei bei ihm von einer einfachen Körperverlezung auszugehen. Meinem Mandanten sei wegen des Schlagstocks dagegen eine gefährliche Körperverletzung vorzuwerfen, für deren Regelfall der Gesetzgeber eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten vorgesehen hat.

War es aus den Schilderungen der Beteiligten offensichtlich, daß für meinen Mandanten eine Notwehrlage gegeben war? Hatte mein Mandant selbst die Polizei zu Hilfe gerufen? Ja doch. Aber so freut sich doch die polizeiliche Kriminalstatistik, in welche auf diese Weise gleich zwei aufgeklärte Straftaten der Körperverletzung Eingang gefunden haben. So etwas kann man sich als Strafverfolger doch wirklich nicht entgegen lassen.

Lehre für meinen Mandanten: Im Zweifelsfall wohl eher nicht die Polizei rufen.

Der für obigen Vorgang verantwortliche Polizeibeamte könnte indes einen vorsichtigen Blick in § 344 StGB werfen, nur mal so zur Fortbildung. Bringt für die Statistik schließlich auch ein aufgeklärtes Verfahren.

RA Müller

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Die Sache mit der gefühlten Sicherheit

Juni 25, 2018

Immer wieder erzählen sich Menschen hierzulande omehr oder weniger aufgeregt, daß man in Deutschland gar nicht mehr sicher sei, ja, sich gar nicht mehr vor die Tür trauen zu können. Dahin sei die Zeit der unbeschwerten Jugend, in der man die Haustüre noch habe offen lassen können und den Geldbeutel nachts durch düstere Gassen habe laufen können. In dieses Horn hat nun auch der große Populist aus Übersee gestoßen.

Hört man diesen Stimmen zu, kann man es selbst mit der Angst zu tun bekommen, scheint doch förmlich der Untergang des Abendlandes zu drohen.

Ein Blick auf die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung (anhand der polizeilichen Kriminalitäts-Statistik; ausgenommen sind Straftaten nach dem AufenthG) klärt darüber auf, ob es sich nur eine gefühlte Verunsicherung handelt oder ob ihr harte Fakten zugrunde liegen.

In Deutschland sind danach in den folgenden, beispielhaft genannten Jahren Straftaten dieser Anzahl erfaßt worden:

  • 1995: 6.668.717 Straftaten
  • 2000: 6.264.723 Straftaten
  • 2005: 6.391.715 Straftaten
  • 2010: 5.933.278 Straftaten
  • 2015: 6.330.649 Straftaten
  • 2017: 5.761.983 Straftaten

Donnerwetter, die Krinminalitätsentwicklung ist ja rückläufig. Aber halt, das ist doch bestimmt einem Rückgang der Kleinkriminalität geschuldet. Bei den Gewaltdelikten, die einem heutzutage beim Aufschlagen jeder Zeitung ins Auge springen, gibt es bestimmt einen massiven Anstieg, oder?

Die PKS 2017 enthält auf Seite 29 ein Diagramm. Danach lagen die Gewaltdelikte im Jahr 2005 bei über 200.000, im Jahr 2010 bei ziemlich genau 200.000 und in den Jahren 2015, 2016 und 2017 zwischen 180.000 und knapp unter 200.000.

Auch hier zeigt sich also wieder ein Rückgang der Kriminalität.

Aber wie sicher kann man sich denn auf unseren Straßen fühlen? Die PKS enthält Angaben zur „Straßenkriminalität“. Hier gab es in der Tat eine massive Veränderung … nach unten. Es ist seit 2003 ein Rückgang um 31,4 % zu verzeichnen.

Gefährliche und schwere Körperverletzung? Seit 2010 gab es einen Rückgang um mehr als 5.000 Taten im Jahr.

Wohnungseinbruchsdiebstahl? Die Anzahl lag 2010 noch bei 121.347 Taten, bis 2016 gab es einen deutlichen Anstieg mit 152.256 Taten und 2017 wurde der Stand von 2010 dann mit 116.540 Taten wieder unterschritten.

Wer sich jetzt immer noch nicht sicher auf unseren Straßen fühlt, der sollte froh sein, nicht in den noch viel gefährlicheren 90ern gelebt zu haben. Wie wäre es mit einem Button a la „Ich habe die 90er überlebt„? Vielleicht ist das Abendland ja doch noch zu retten, dies zunächst einmal vor den Unkenrufen der Populisten. Das dürfte indes nicht ganz einfach werden. Denen ist mit Fakten schließlich nicht ganz so einfach beizukommen.

RA Müller

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Die Trägheit der Staatsanwaltschaft

Juni 13, 2018

Um es gleich vorwegzunehmen: „Trägheit“ ist hier nicht im Sinne von Langsamkeit oder gar Faulheit zu verstehen. Das Trägheitsprinzip sagt vielmehr aus, daß ein gleichförmig bewegter Körper seine geradlinig-gleichförmige Bewegung beibehält, sofern einwirkende Kräfte keine Änderung seines Zustandes bewirken (siehe: Erstes newtonsches Gesetz).

Auf die Staatsanwaltschaft bezogen ist gemeint, daß dort nicht selten ein Beharren an der einmal gefaßten Anklageschrift festzustellen ist, selbst wenn die Tatsachen den damals gefaßten (Trug-)Schluß gar nicht mehr hergeben.

In dieser Weise empfand ich jedenfalls das Verhalten der Staatsanwaltschaft in einer heute verhandelten Strafsache:

Dem Mandanten wurde vorgeworfen, eine Urkundenfälschung begangen zu haben. Er habe von einer (angeblich) gefälschten ausländischen Urkunde Gebrauch gemacht, obwohl er (angeblich) gewußt habe, daß es sich um eine Fälschung handelte. In der Hauptverhandlung wies ich für meinen Mandanten darauf hin, daß nach wie vor nicht einmal feststehe, daß es sich bei der Urkunde tatsächlich um eine Fälschung handelte. Dies hatte bislang lediglich ein „Dokumentenprüfer“ der Polizei auf einem vorformulierten Ankreuzbogen vermerkt. Es war dem Ankreuzbogen dabei nicht zu entnehmen, an welchem konkreten Merkmal der Dokumentenprüfer die vorliegende Urkunde als Fälschung entlarvt zu haben meinte. Ob der örtliche Polizeibeamte über hinreichende Erfahrungen mit entsprechenden ausländischen Dokumenten verfügte, stand ebenfalls nicht fest.

Sodann teilte ich dem Gericht für meinen Mandanten mit, auf welchem Weg dieser die besagte Urkunde erhalten hatte und daß er angesichts dieser Übermittelung der Urkunde keinen Zweifel daran gehegt hatte, daß es sich um eine echte Urkunde handelte.

Der Richter wies darauf hin, daß die Einlassung meines Mandanten nicht zu widerlegen sei. Die Hauptverhandlung habe bereits nicht festgestellt, daß überhaupt eine unechte Urkunde vorliege. Dies müsse man indes nicht mehr weiter überprüfen, da selbst bei Vorliegen einer Fälschung kein Beweismittel zur Verfügung stehe, mit welchem sich belegen ließe, daß mein Mandant die Fälschung als solche erkannt habe. Gleichwohl hielt die Staatsanwaltschaft unbeirrt – meiner Auffassung zufolge indes ohne tragfähige Grundlage – an der Verurteilung fest.

Es folgte der zu erwartende Freispruch.

RA Müller

 

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DSGVO-Abmahnung ohne Auftrag

Juni 12, 2018

Der Mandant ist mit einem Anwaltsschreiben wegen eines (angeblichen) Verstoßes gegen die DSGVO abgemahnt worden. Eine Vollmacht war dem Schreiben nicht beigefügt. Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung wurde vielmehr anwaltlich versichert. Die im Zuge des Ausspruchs der Abmahnung entstandenen Anwaltskosten sollte der Mandant auf das Konto des gegnerischen Rechtsanwalts anweisen.

Es stellte sich indes heraus, daß das gegnerische Unternehmen, in dessen Auftrag die Abmahnung angeblich ausgesprochen worden war, einen solchen Auftrag gar nicht erteilt hatte. Hierauf weist das Unternehmen jedenfalls in einer längeren E-Mail hin.

Man habe mit einem Steuerberater lediglich über das Risiko, selbst abgemahnt zu werden, gesprochen. Dieser Steuerberater sei zugleich in der nun abmahnenden Anwaltskanzlei tätig. Der Kanzlei habe das Unternehmen allerdings zu keinem Zeitpunkt irgendein Mandat erteilt, mithin auch nicht den Auftrag, Dritte abzumahnen. Man habe nun erfahren müssen, daß die Kanzlei gleichwohl eine „Vielzahl“ an Abmahnungen ausgesprochen habe. Diesen Vorgang habe man bei der Anwaltskammer zur Anzeige gebracht.

Parallel erhielt der Mandant von der gegnerischen Anwaltskanzlei ein weiteres Schreiben: Das Unternehmen, für welches man die Abmahnung ausgesprochen habe, halte an den geltend gemachten Ansprüchen nicht länger fest.

Diese Rückmeldung darf verwundern. Zu behaupten, daß das Unternehmen an Ansprüchen „nicht länger festhält“, verschleiert, daß das Unternehmen die Ansprüche tatsächlich niemals geltend gemacht hatte. Der Sachverhalt mag nicht nur ein Fall für die Anwaltskammer sein sondern auch die Staatsanwaltschaft interessieren. Der Mandant hat jedenfalls Strafanzeige erstattet.

RA Müller

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Nach langer Zeit mal wieder ein „Strafrechtliches Rätsel zur Mittagsstunde“…

Mai 31, 2018

… diesmal allerdings ohne baldige Auflösung. In dieser Woche durfte ich Mandanten bereits gegen den Vorwurf der räuberischen Erpressung sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verteidigen. Heute stand dann ein ungleich schwerwiegenderer Vorwurf im Raum: Hausfriedensbruch.

Aber auch hier können sich interessante Rechtsfragen stellen. So wurde meinem Mandanten vorgeworfen, in jugendlichem Übermut über das Fallrohr einer Regenrinne auf das Dach eines Schulgebäudes geklettert zu sein. Der Schulleiter erstattete Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Der Mandant, der die „Tat“ auf Befragen durch die Polizei unumwunden eingeräumt hat,  ist nicht vorbestraft. Gleichwohl hielten die Strafverfolger es für erforderlich, Anklage zu erheben, um diesem schrecklichen Unrecht angemessen begegnen zu können.

Aber liegt tatsächlich ein Hausfriedensbruch vor? Werfen wir einen Blick auf § 123 StGB:

Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Einigkeit dürfte dahingehend zu erzielen sein, daß das Betreten eines Hausdaches kein eindringen in eine Wohnung, in einen Geschäftsraum oder in bestimmte abgeschlossene Räume darstellt. Es bleibt die Frage, ob es sich bei dem Schulgelände oder dem Dach der Schule um ein „befriedetes Besitztum“ handelt.

Ein befriedetes Besitztum soll gegeben sein, wenn es vom berechtigten Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist, wobei eine lückenlose Abschließung oder eine tatsächlich wesentliche Erschwerung des Zugang für nicht erforderlich erachtet wird. Klassische Schutzwehr in diesem Sinne stellen etwa Zäune, Hecken etc. dar. Das Schulgelände war zur Front hin indes vollständig offen angelegt und wies keinerlei Zugangsbeschränkungen irgendeiner Art auf. Auf dem Gelände befindet sich sogar ein Spielplatz, der nicht nur Schülern sondern gerade auch den Kindern der umliegenden Siedlung zur Verfügung gestellt wird.

Die Staatsanwaltschaft bezog sich dann in der Verhandlung darauf, daß das Betreten des Daches nur durch Klettern gelungen sei, so daß also die Gebäudewand wohl als Schutzwehr begriffen werden sollte. Ich habe auf einen Fall verwiesen, welcher dem OLG Frankfurt a.M. (Beschluß v. 16.03.2006 – 1 Ss 219/05) zur Entscheidung vorlag. Dort war der Angeklagte unbefugt in die unterirdisch gelegenene „B-Ebene einer U-Bahn-Station“ eingedrungen und zunächst durch das zuständige Amtsgericht wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden. Das OLG befand unter anderem wie folgt:

„Ein Besitztum wird jedoch nicht bereits deshalb zu einem befriedeten Besitztum, weil es unter dem Straßeniveau liegt und damit naturgemäß über Abgrenzungen verfügt. Nach einhelliger Meinung im Schrifttum wird eine unterirdische Fußgängerpassage nicht als befriedetes Besitztum angesehen.“

Können dann das bei einem Gebäude notwendigerweise vorhandene Höhenunterschied durch die Mauern des Gebäudes, die mein Mandant durch Klettern überwunden hat, zu der Annahme führen, daß das Dach ein „befriedetes Besitztum“ ist?

Eine Auflösung kann ich hier nicht präsentieren, zumal das Verfahren gegen meinen Mandanten im Termin eingestellt worden ist (wobei ein Mitangeklagter für entsprechende Taten allerdings verurteilt worden ist, so daß das hier zuständige AG von einem verwirklichten Hausfriedensbruch ausgeht) 🙂

RA Müller

 

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Von Vögeln und anderen Dingen

April 20, 2018

Man möchte meinen, daß es für einen Angeklagten nur wenig Vorteile bietet, es sich gleich zu Beginn einer Gerichtsverhandlung unnötig mit dem Richter zu verscherzen. In einer Jugendsache, in der ich einen der Mitangeklagten vertrat, bat der Richter den Angeklagten A darum, seine „Basecap“ abzusetzen. Der Angeklagte weigerte sich, so daß der Richter mit einem Seufzen seine Aufforderung wiederholte. A weigerte sich erneut. Auf die richterliche Frage, ob das denn jetzt sein müsse, blieb A stur und fuhr dann sinngemäß fort:

„Was will der Vogel denn überhaupt, mir hier zu sagen, wie ich mich anzuziehen habe.“

Abgesehen davon, daß viel dafür spricht, jedenfalls ein Mindestmaß an Höflichkeit aufzubringen, muß man sich die Frage stellen, ob es sich für den Angeklagten lohnt, in dieser Weise auf Teufel komm raus einen Streit zu provozieren. Seine Weigerung, die Kopfbedeckung abzunehmen, hat A jedenfalls ein Ordnungsgeld eingebracht.

Für meinen Mandanten war das sich ergebende Gesamtbild vorteilhaft. Von den anderen Angeklagten setzte er sich gleich in mehrfacher Hinsicht deutlich ab, woraufhin das gegen ihn geführte Verfahren eingestellt wurde, so daß er vorzeitig dem Gerichtssaal den Rücken kehren durfte.

RA Müller

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Entlastungszeugen? Brauchen wir nicht

April 9, 2018

Ich hatte den Auftrag erhalten, eine Angeklagte (erst) im Berufungsverfahren zu vertreten. Dem zugrunde lag eine Strafanzeige gegenüber meiner Mandantin, welche von einer Person erstattet worden war, mit welcher sie seit längerer Zeit im Streit stand. In erster Instanz war sie nun zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden.

In ihrer Einlassung in erster Instanz hatte sich meine Mandantin auf sie entlastende Umstände berufen, zu denen zum Teil auch Zeugen zur Verfügung standen. Von einem dieser Zeugen fand sich eine schriftliche Stellungnahme auch in der Ermittlungsakte. Die Angaben dieses Zeugen widersprachen den Behauptungen des Anzeigeerstatters.

Das Amtsgericht hatte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung indes allein den Anzeigeerstatter als Zeugen gehört. Der Entlastungszeuge war gar nicht geladen worden. Unter diesen Voraussetzungen konnte es nur zu einer Verurteilung kommen. Die unkritische Haltung des Gerichts zeigt sich dann auch am erstinstanzlichen Urteil selbst, demzufolge das Gericht sämtliche Angaben des Belastungszeugen für bare Münze genommen hatte, ohne sich mit deren Wahrheitsgehalt und – alles andere als fernliegenden – Motiven für eine Falschbelastung im Einzelnen auseinanderzusetzen.

Bemerkenswert: Ein anderes Gericht hatte derweil über den von der Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf der laufenden Bewährung zu entscheiden. Die dort zuständige Richterin fertigte einen seitenlangen langen Beschluß, mit welchem sie die Bewährung nicht widerrief. Dabei setzte sich die Richterin auch dezidiert mit dem erstinstanzlichen Urteil auseinander und ging auf dessen Schwächen, insbesondere die kritiklose Übernahme des Vortrages des Belastungszeugen ein.

In der zweiten Instanz läuft die Aufklärung des Sachverhalts nun deutlich intensiver. Wir verhandeln bereits seit Oktober 2017. Weitere Termine sind angesetzt bis zunächst Mai 2018. Wie auch immer das Verfahren ausgehen wird: Mangelnde Sorgfalt wird man der zweiten Instanz nicht vorwerfen können.

RA Müller

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Der Beschuldigte, der Zeuge und das Ding dazwischen

März 26, 2018

Ich mag gar nicht zählen, wie oft ich mich schon mit der Frage befassen durfte, ob die lieben Ermittler meinen Mandanten zu recht „nur“ als Zeugen begriffen haben oder ihm willkürlich die Eigenschaft als „Beschuldigter“ (und damit auch die mit diesem Status einhergehenden Rechte) verwehrt haben. Nicht zuletzt mein letzter Blog-Beitrag befaßte sich mit diesem Thema.

Kürzlich legte mir eine Mandantin eine polizeilichen Ladung vor, in welcher sich die Polizei ganz um diese lästige Einordnung drückte. So hieß es dort nur, daß es um…

„…die Erörterung von Detailfragen im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen vom (…) geht.“

Aus der zeitnah gewährten Akteneinsicht ergab sich dann, daß die „Detailfragen“ sich wohl darauf konzentriert hätten, ob meine Mandantin – wie von der Geschädigten in den Raum gestellt – den Unfall verursacht und sich dann unerlaubt vom Unfallort entfernt hatte. Die angedachte „Erörterung von Detailfragen“ klingt aber selbstredend viel schöner als die Ladung mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu verbinden. Bemerkenswert war auch die Formulierung des Sachbearbeiters der Polizei, daß meine Mandantin ohne weitere Rücksprache einen Rechtsanwalt beauftragt habe. Mit wem hätte sie Rücksprache halten sollen? Mit der Polizei?

Anhörungsbögen lassen sich doch sicherlich noch viel schöner formulieren, vielleicht wie folgt:

„Gerne würden wir Sie hier zu einem ungezwungenen Gespräch bei Tee und Kuchen begrüßen. Schön wäre es, wenn wir nach etwas Plauderei auch auf das Unfallgeschehen vom (…) zu sprechen kommen könnten. Die Beauftragung eines Anwalts sollte derzeit noch nicht nötig sein. Falls Sie doch einen Anwalt beauftragen wollen, rufen Sie uns doch bitte vorher an.“

RA Müller