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„Drachen“ in der Straßenverkehrsordnung

Juni 25, 2010

Eigentlich sollte es niemanden überraschen, daß sich Juristen über nahezu jede beliebige Rechtsfrage trefflich streiten können. Es ist dann aber doch verwunderlich, wenn eine Rechtsfrage nicht geklärt ist, welche tagtäglich eine Vielzahl von Personen betrifft. Noch überraschender ist es, wenn dann auch noch die Straßenverkehrsordnung betroffen ist, wo doch gerade im Straßenverkehr klare und allen verständliche Regeln eine Selbstverständlichkeit sein sollten.

Zumindest in einem Punkt muß man jedoch beim näheren Hinsehen feststellen, daß man eigentlich in die StVO schreiben müßte: „Hic sunt dracones„.

Es geht um die Frage, ob nach einer Kreuzung eine vor der Kreuzung bestehende Geschwindigkeitsbegrenzung durch das Verkehrszeichen 274 wiederholt werden muß oder ob die Geschwindigkeitsbegrenzung nach der Kreuzung automatisch aufgehoben ist.

Die überwiegende Auffassung bei den Verkehrsteilnehmern dürfte sein, daß die Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Kreuzung aufgehoben wird. Das LG Bonn hat dies vor einigen Jahren auch so gesehen und darauf hingewiesen, daß ein von rechts oder links einbiegender Verkehrsteilnehmer andernfalls nicht erkennen kann, welche Geschwindigkeitsbegrenzung Geltung entfaltet, wenn das weiterhin Wirkung entfaltende Verkehrszeichen nur vor der Kreuzung aufgestellt worden ist.

Das OLG Hamm hatte 2001 indes die gegenteilige Auffassung vertreten (die Entscheidung kann unter anderem auf der Internetseite des Kollegen Burhoff im Volltext nachgelesen werden).  Dabei hatte sich das Gericht sogar auf die angeblich „einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur“ berufen und ausgeführt:

„Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, gilt eine Streckenvorschrift nicht nur jeweils bis zur nächsten Straßeneinmündung -oder Straßenkreuzung. Es ist einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass eine durch Zeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung als sog. Streckenverbot erst an einen gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO aufgestellten Zeichen 278 endet (…). Zwar verlangt der Sichtbarkeitsgrundsatz die Wiederholung aller Streckenvorschriftszeichen hinter jeder Kreuzung oder Einmündung auf der Straßenseite, für die das Gebot oder Verbot besteht; dies gilt jedoch nur für den Einbiegeverkehr.“

Etwas kryptisch bleibt, wraum die Verwaltungsvorschrift, welche die Wiederholung des Verkehrszeichens als Soll-Vorschrift regelt, nur für den Einbiegenden Verkehr gelten soll. Sollen auf einer Strecke dann zwei unterschiedliche Höchstgeschwindigkeiten gelten? Vermutlich wollte das OLG eher darauf hinaus, daß der Einbiegende in der Regel (nur) nicht fahrlässig handelt, da er damit rechnen darf, daß ein etwaiges, vor der Kreuzung aufgestelltes Verkehrszeichen wiederholt wird.

Trotz der Tatsache, daß diese Rechtfrage alltäglich im Straßenverkehr von Bedeutung ist, ist sie weiterhin noch nicht geklärt. So das OLG München in einer kürzlichen Entscheidung zum Kreisverkehr:

„Es muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, ob eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 generell nur bis zur nächsten Einmündung oder Straßenkreuzung gilt.“

Selbst wenn man dem LG Bonn folgt, muß man sich fragen, ob die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung auch gelten soll, wenn es sich bei der kreuzenden Straße um eine in die andere Richtung befahrbare Einbahnstraße oder gar um eine Sackgasse handelt. Der Schutz des einbiegenden Verkehrsteilnehmers dürfte dann weniger bedeutsam sein…

Im Ergebnis wird man derzeit wohl nur festhalten können: Vorsicht vor Drachen.

3 Kommentare

  1. Winterreifen: Für die meisten Autofahrer in Deutschland selbstverständlich…

    Ein interessanter Artikel. Wir haben ähnliches geschrieben….


  2. […] Trotz der Tatsache, daß diese Rechtfrage alltäglich im Straßenverkehr von Bedeutung ist, ist sie weiterhin noch nicht geklärt. Quelle […]



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