Archive for the ‘Sonstiges’ Category

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Eine ganz normale Woche

September 13, 2020

Im Blog ist es etwas ruhig geworden. Die Ursache liegt nicht zuletzt darin, daß das Arbeitsaufkommen in einem Maße zugenommen hat, daß kaum noch Zeit für den Blog geblieben ist.

Die Wochen sind förmlich gepflastert mit Gerichtsterminen und zahlreichen Besprechungsterminen mit Mandanten.

Diese Woche begann mit einem Strafprozeß wegen des Vorwurfs des Betruges bei der Erlangung von Corona-Beihilfen. Es erging ein Freispruch zugunsten meines Mandanten. Für mich folgte dann noch ein Zivilverfahren vor dem Landgericht vor dem Hintergrund des Abgasskandals.

Den Dienstag läutete ein Strafprozeß wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung ein. Widersprüchliche Angaben des (vermeintlichen) Geschädigten bereiteten einen guten Start. Da aber nicht alle Zeugen freiwillig den Weg zum Gericht gefunden haben, wird der Prozeß demnächst fortgesetzt.

Am Mittwoch stand eine Beweisaufnahme in einem Rechtsstreit an, der wegen der im Zuge eines Feuerwehreinsatzes entstandenen Schäden geführt wurde.

Der Donnerstag begann mit einem zivilrechtlichen Verfahren am Landgericht, gefolgt von dem zweiten Hauptverhandlungstag in einem Mißbrauchsprozeß, der mich auch in der kommenden Woche beschäftigen wird.

Der Freitag bot dann zum Wochenausklang noch ein Ordnungswidrigkeitenverfahren und eine Beweisaufnahme in einer Verkehrsunfallangelegenheit.

Daneben standen rund 20 Besprechungen mit Mandanten an, die Bearbeitung von Fristsachen etc.

Eine ganz normale Woche also.

RA Müller

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Schnell, schneller, Amtsgericht Stadthagen…

Februar 7, 2020

Seit langer Schreibpause ist DAS definitiv einen Beitrag wert.

Für einen Mandanten habe ich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt.

Eingang beim Amtsgericht war heute um ca. 10:15 (per Bote und als eilt sehr direkt abgegeben).

Anruf des Amtsgerichts um 11:15 – die eV sei fertig und könne abgeholt werden.

Und dabei nicht nur einfach tenoriert und auf die Antragsschrift verwiesen (was ja auch gelegentlich passiert) – nein, auf 3 Seiten begründet das Amtsgericht auch noch die dem Antrag voll stattgebenden Verfügung. (Und nein, die Begründung weicht nicht von meiner Begründung ab, woran man ja bei diesem Aufwand denken könnte.)

Einfach nur Wow! Großes Lob, so schnell hab ich das noch nie erlebt.

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Eine einzige Tatsache kann die beste Argumentation versauen…

September 3, 2019

Es erscheint ein neuer Mandant und übergibt u.a. ein mit „Testament“ überschriebenes Schriftstück, verfasst von seinem schon vor einiger Zeit verstorbenen Vater.

Er berichtet, ein von ihm beauftragter Notar habe schon den Antrag auf Erteilung eines Erbscheines erstellt, welcher den Mandant als Alleinerbe ausweist.

Soweit so gut – aus dem Schriftstück ergab sich aber nicht einmal eine Erbeinsetzung. Vielmehr „verteilte“ der Vater seinen Nachlass (nur) an seinen Sohn.

Allerdings hat der Erblasser auch eine Tocjter (die Mutter war vorverstorben).

Außerdem waren diverse Verfügungen des Erblassers zu Gunsten des Mandanten erfolgt, so insbesondere auch zwei Immobilien, eine davon vollumfänglich mit einem Wohnrecht belastet – auch die Schwester hatte in der Vergangenheit eine Wohnung schenkweise erhalten. Weiter war der Mandant Betreuer des Erblassers und hatte in dieser Funktion auch im Einvernehmen mit dem Vater über dessen Konten verfügt (was man natürlich nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen könne).

Die Schwester – ihrerseits unter Betreung – macht nun Auskunftsansprüche geltend (ob nun als Erbin oder Pflichtteilsberechtigte ist nicht wirklich klar).

Ich habe also dem Mandanten gegenüber schriftlich (!) äußerst umfangreich die sich nun ergebenden möglichen Konstellationen dargestellt und insbesondere auch ausgeführt, was ich von dem „Testament halte“ und weiter in welchem Umfang überhaupt Auskunft zu erteilen ist, je nachdem, ob der Mandant nun Allein- oder Miterbe geworden ist. Ich habe dabei sogar ein neues Wort gelernt („Kodizill“, einfach mal googeln).

Ich war gerade fertig (immerhin sechs Seiten konzentriertes Erbrecht), als mir der aktuelle Posteingang vorgelegt wurde, darin die Übertragungsverträge betreffend die Immobilien. In einem Übertragungsvertrag fand sich der dezente Hinweis, dass der Vater gemeinsam mit der Mutter ein weiteres – sog. gemeinschaftliches – Testament veranlasst hatte.

Der Inhalt ist mir zwar unbekannt, es kann aber durchaus sein, dass hier Bindungswirkung eingetreten war (also der Vater nicht mehr frei verfügen konnte) und daher der Mandant durchaus Alleinerbe geworden sein kann (es hatte mich ohnehin gewundert, dass der Notar bei diesem „Testament“ so „mutig“ war, einen solchen Antrag zu stellen).

Mit anderen Worten sind etwa fünf von sechs Seiten wahrscheinlich Makulatur und dies nur weil der Mandant mir nicht alle Informationen mitgeteilt hatte.

Dabei sollte m.E. eigentlich jedem klar sein, dass ein Testament, in welchem unter Garantie ein Schlusserbe benannt wurde (am Besten noch man selbst) in irgend einer Form vielleicht doch relevant sein könnte…

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Justiz 2.0

August 19, 2019

Bisweilen ist die Justiz erfreulich modern. So erkundigte sich kürzlich ein Richter in einer Zivilsache bei den diversen Prozeßparteien danach, ob Bedenken bestehen, die nicht ganz einfache Terminsabstimmung über Doodle durchzuführen.

Auf der anderen Seite der Medaille ist ein Strafverfahren zu nennen, in dem mir das Gericht neulich einen großen Karton mit den Hauptakten geschickt hat. Beigefügt war ein Schreiben, wonach die dazugehörigen Sonderhefte noch einen deutlich höheren Umfang aufwiesen und nicht mit vernünftigem Aufwand per Post versendet werden könnten. Diese Akten würden daher zur Abholung auf der Geschäftsstelle des – glücklicherweise nur ca. 30 Minuten entfernten – Gerichts zur Vefügung stehen.

Dankenswerterweise hat eine Kollegin, die ohnehin bei dem Gericht zu tun hatte, mir die Akten abgeholt, die ihr zudem ein freundlicher Wachtmeister mit einer Sackkarre zum Auto transportiert hat. Alleine hätte man den riesigen Karton kaum tragen können.

Man wünscht sich eine Justiz, die auf den Versand der Original-Akten gänzlich verzichtet und dem Verteidiger einen verschlüsselten Datenträger mit dem eingescannten Akteninhalt zur Verfügung stellt.

In einigen Verfahren erfolgt dies bereits, wobei das Gericht selbst die digitalen Vorteile allerdings in der Regel noch nicht genießen darf. Im Gerichtssaal türmen sich dann auf oder hinter der Richterbank noch die Aktenstapel. In einem kürzlich verhandelten Schwurgerichtsverfahren dagegen standen den Richtern im Gerichtssaal doch tatsächlich PCs zur Verfügung, um auf diesem Wege auf den Akteninhalt zugreifen zu können. Sollten Urkunden in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wurden diese kurzerhand auf einem großen Bildschirm hinter der Richterbank dargestellt.

Langsam aber sicher tut sich etwas in Sachen Justiz 2.0.

RA Müller

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Alles ist relativ…

Mai 22, 2019

Ich glaube, ich habe gerade das umfangreichste Urteil in einer Baurechtssache zugestellt bekommen, welches ich je erhalten habe … etwas mehr als 50 (!) Seiten. Und nicht etwa bestehend aus ausschweifenden Formulierungen oder umfangreichen Fundstellen-Angaben. Alles recht straight, klar formuliert und sauber. Und ja, der Umfang war angesichts der Vielzahl an streitigen Punkten auch erforderlich.

Wenn man aber berücksichtigt, dass die Sache seit 2013 rechtshängig ist und eigentlich schon etwa ein halbes Jahr später mehr oder weniger ausgeschrieben war (und seitdem der Termin zur Verkündung einer Entscheidung  immer wieder aufgehoben und neu bestimmt wurde) sind das etwa 10 Seiten Urteil pro Jahr.

Nicht mehr ganz so beeindruckend.

Bevor irgendwer fragt, an § 198 GVG haben wir natürlich gedacht. Das war vor etwa 4 Jahren…

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Klage über Klage

April 11, 2019

An manchen Tagen fragt man sich, wann man eigentlich „wirklich“ zum Arbeiten kommt. Ja, die Wahrnehmung von Gerichtsterminen ist auch Arbeit, die mir in der Regel zudem viel Freude bereitet. Der Schreibtisch ächzt dann aber doch bisweilen unter der Aktenlast.

Man nehme nur den heutigen Tag:

  • 09:00 Uhr: Kurze Verhandlung in einer Zivilsache vor dem Landgericht. Ich trat in Untervollmacht für auswärtige Kollegen auf.
  • 09:15 Uhr: Es schloß sich eine weitere  Zivilsache vor dem Landgericht an
  • 09:45 Uhr: Und wieder eine Zivilsache vor dem Landgericht, dieses Mal in Terminvollmacht.
  • 11:00 Uhr: Um etwas Abwechslung in den Tag zu bringen, stand nun in einer Zivilsache eine Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht an.
  • 12:00 Uhr: Den Verhandlungsvormittag schloß eine weitere Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht ab, die etwas kürzer als erwartet ausfiel, weil der einzige Zeuge durch Abwesenheit glänzte. Immerhin: Ich konnte einen durchaus erfreulichen Widerrufsvergleich abschließen.

In drei der verhandelten Fälle wird die Mandantschaft gewinnen, in einem der Fälle wahrscheinlich gewinnen und im letzten Fall wurde der erwähnte Vergleich geschlossen.

Oder wie wäre es mit einem Rückblick auf die letzte Woche:

  • Montag: Verhandlung vor einem auswärtigen Amtsgericht in einer Strafsache mit zahlreichen Zeugen (Freispruch)
  • Dienstag: Verhandlung vor dem hiesigen Amtsgericht in einer Strafsache mit ursprünglich 15 Zeugen, in der ein alle Beteiligten zufriedenstellender Weg gefunden werden konnte, der den Mandanten vor einer Jugendstrafe bewahrte und die Vernehmung der Zeugen entbehrlich machte.
  • Mittwoch: Verhandlung in einer Zivilsache mit Beweisaufnahme vor einem auswärtigen Amtsgericht. Es wurde ein Vergleich geschlossen.
  • Donnerstag: Verhandlung vor einem auswärtigen Schwurgericht in einem Mordverfahren.
  • Freitag: Fortsetzung der Verhandlung vor dem Schwurgericht.

Da freut man sich, wenn endlich Wochenende ist und man sich in aller Ruhe den Akten auf dem Schreibtisch widmen kann.

RA Müller

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Schnell wie die Feuerwehr

März 21, 2019

Der Mandant waren Opfer einer Straftat geworden. Einige Tunichgute (ja, den Plural gibt es tatsächlich) hatten auf dem vom Mandanten angemieteten Grundstückein Feuerchen gemacht. In dieses bierselige Treiben wurde leider das – wenn auch abgemeldete und relativ alte – Auto des Mandanten einbezogen. Auch durch die von dritter Seite hinzugerufene Feuerwehr war das Kfz nicht mehr zu retten.

Einige Zeit später erhielt der Mandant zu seinem Verdruß noch die nach seinen Einkommensverhältnissen als gepfeffert zu bezeichnende Kostenrechnung für den Feuerwehreinsatz. Da stellt man sich doch unwillkürlich die Frage, welche Leistungen der Feuerwehr eigentlich kostenpflichtig sind und welche mit einer nachträglichen Kostenerhebung verbunden sind. Mit dieser Thematik hat ein Straf- und Verkehrsrechtler nicht jeden Tag zu tun.

Es handelte sich also um eine hervorragende Aufgabe für unseren nicht minder hervorragenden Referendar, der sich mit der Materie befaßte und dann auch gleich einen Entwurf der Klageschrift verfaßte. Am 25.02.2019 ging die Klageschrift beim zuständigen Verwaltungsgericht ein. Heute erhielt ich die Nachricht des Gerichts, daß die Beklagte den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat und darum bittet, ihr die Kosten des Klageverfahrens aufzugeben.

Das ist doch mal ein richtig schnelles und erfreuliches Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht.

Vielen Dank an unseren Referendar 🙂

RA Müller

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Die Sache mit dem Dolmetscher

November 15, 2018

Über Dolmetscher habe ich in diesem Blog schon verschiedene Beiträge verfaßt. Spricht der Betroffene die deutsche Sprache allenfalls unzureichend, so geht es nicht ohne Dolmetscher, auch wenn dies mitunter versucht wird. Voraussetzung ist allerdings, daß der Dolmetscher sein Handwerk versteht.

In einem Strafverfahren, in dem es um nichts Geringeres als den Vorwurf des Mordes geht, hatte die Polizei zur Vernehmung eines Beschuldigten, der nur über eingeschränkte Deutschkenntnisse verfügen soll, einen Dolmetscher besorgt. Der Vernehmungsbeamte belehrte den Beschuldigten durchaus ausführlich und vorschriftsgemäß. So wies er unter anderem darauf hin, daß der Beschuldigte jederzeit einen Anwalt hinzuziehen könne.

Der Dolmetscher übersetzte dem Beschuldigten allerdings nur einen Teil der Belehrung. Der die Hinzuziehung eines Anwalts betreffende Teil wurde dem Beschuldigten nicht übersetzt.

In der Vernehmung ging es dann zunächst um eher formale Aspekte. Bevor der Beschuldigte dann zur Sache selbst vernommen werden sollte, wies der Vernehmungsbeamte vorsorglich noch einmal auf das Recht hin, einen Anwalt hinzuzuziehen. Außerdem könne der Beschuldigte auch Beweiserhebungen beantragen. Die Polizei ermittele nicht nur zu seinen Ungunsten sondern werde auch entlastenden Umständen nachgehen.

In der Übersetzung ließ der Dolmetscher den Teil, der die Hinzuziehung eines Anwalts betraf, wieder aus.

Nun äußerte sich der Beschuldigte allerdings von sich aus und teilte dem Dolmetscher mit, daß er nur in Gegenwart eines Anwalts aussagen wolle. Diese Äußerung des Beschuldigten übersetzte der Dolmetscher gar nicht, so daß der polizeiliche Vernehmungsbeamte hiervon nichts erfuhr und die Vernehmung fortsetzte.

Im Ergebnis ist die Aussage des Beschuldigten und nunmehrigen Angeklagten aufgrund der fehlerhaft übersetzten Belehrung nicht verwertbar.

Nebenbei bemerkt: Eigene Ausführungen des Dolmetschers, die zum Teil aus nur fragmentarischen „Sätzen“ bestanden, deren Sinn ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht ohne weiteres nachzuvollziehen konnte, ließen bei mir die Frage aufkommen, ob der Dolmetscher über hinreichende Deutschkenntnisse verfügte.

Die Tatsache, daß eine völlig unzureichende Übersetzung erfolgt war, ließ sich übrigens nur aufklären, weil angesichts des schweren Tatvorwurfs von der gesamten Vernehmung eine Videoaufzeichnung angefertigt worden war. Mithilfe des in der Hauptverhandlung anwesenden (anderen) Dolmetschers konnte die unzureichende Übersetzung durch den von der Polizei hinzugezogenen Dolmetscher ohne weiteres nachvollzogen werden. Hätte es – wie noch in den allermeisten Strafverfahren – nur ein schriftliches Protokoll zur Vernehmung gegeben, wäre dies nicht aufzuklären gewesen. Aus Reihen der Verteidiger wird immer wieder die Aufzeichnung von Vernehmungen gefordert. Zumindest zum Teil ist der Gesetzgeber dem gefolgt, so daß der 2020 in Kraft tretende § 136 Abs.4 StPO in bestimmten Fällen die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung vorsehen wird.

RA Müller

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Das schönste Lob…

Oktober 18, 2018

…erhält man als Anwalt mitunter von der Gegenseite.

Folgendes war passiert:

Wir führen seit langem Rechtsstreite (Plural) gegen die Gegenseite, eine WEG (Wohnungseigentümergemeinschaft) bzw. deren Mitglieder. Und nein, es geht dabei nicht – jedenfalls nicht auf unserer Seite – um einen typischen Querulanten-Rechtsstreit. Es geht überwiegend um erhebliche finanzielle Interessen meines Mandanten, denen sich – aus nicht wirklich nachvollziehbaren Motiven, aber jedenfalls aus Prinzip – einige Miteigentümer entgegen gestellt hatten.

Ein Mitglied dieser WEG ist Rechtsanwalt und führte auch die Rechtsstreite der Eigentümer.

Nunmehr hatte die WEG eines dieser sich aus diesem Streit ergebenden Verfahren gegen unseren Mandanten verloren, wobei man vertreten kann, dass dies (auch) auf einen Fehler dieses Rechtsanwaltes zurückgeführt werden kann (man kann das – soviel der Fairness halber – auch anders sehen).

Die Folge sind u.a. nicht unerhebliche Kostenerstattungsansprüche unseres Mandanten gegen die WEG.

Nunmehr trat der Verwalter dieser WEG an mich heran und wollte mich beauftragen, gegen diesen (ehemaligen) Rechtsanwalt der WEG vorzugehen und diese nun von der WEG erstatteten Kosten von diesem wieder zu verlangen. Man halte meine bisherige Arbeit für sehr gut (und ich würde die Sache ja auch schon kennen).

Kann ich zwar nicht machen – das riecht ein bißchen zu sehr nach § 356 StGB  – war aber trotzdem auch mal schön, von dieser Seite gefragt zu werden.

RA Klenner

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Staatsanwaltschaftliche Reflexe

Oktober 10, 2018

Wikipedia definiert den „Reflex“ als „unwillkürliche, rasche und gleichartige Reaktion eines Organismus auf einen bestimmten Reiz„. Läßt man es durchgehen, die Staatsanwaltschaft als Organismus im Sinne eines ganzheitlichen, hierarchisch gegliederten und zielgerichtet agierenden Systems zu bezeichnen, so kann die Reaktion auf einen unter Alkoholeinfluß stehenden Kraftfahrzeugführer, der einen Unfall verursacht, als Reflex verstanden werden.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Der Beschuldigte (B) fährt morgens zur Arbeit. An einer Kreuzung muß er auf eine Lücke im regen Verkehr, der auf der Vorfahrtstraße herrscht, warten. Die aufgehende Sonne blendet etwas. Endlich ist sie da, die Lücke! B fährt an … hat sich aber leider zu sehr auf die Kfz auf der Vorfahrtstraße konzentriert, ist vielleicht auch durch die aufgehende Sonne geblendet worden. Jedenfalls übersieht B den sich seitlich nähernden Fahrradfahrer. Es kommt zur Kollision. Ohne daß er hiermit gerechnet hatte, weist B, der in der vorangegangenen Nacht Alkohol getrunken hatte, noch eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,65 Promille auf. Er fühlte sich topfit. Die Polizei stellt bei ihm keine typischen Ausfallerscheinungen fest. B torkelt nicht, bewegt sich insgesamt sicher, hat keine geröteten Augen, keine verlangsamte Reaktion, sein Denkablauf ist klar etc.

Es wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen „Gefährdung des Straßenverkehrs“, § 315c StGB. Voraussetzung ist, daß B infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht mehr in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen. Bei einer BAK ab 1,1 Promille wird dies unwiderlegbar vermutet. Auch der alkoholgewöhnteste Trinker, bei dem das Zittern in den Händen erst nach ein paar Bierchen nachläßt, ist bei dieser BAK fahruntüchtig.

Liegt die BAK dagegen zwar bei 0,3 mindestens Promille, indes noch unter 1,1 Promille, so besteht Fahruntüchtigkeit nur, wenn alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzukommen.

An dieser Stelle setzt nun der Reflex der Staatsanwaltschaft ein: Bei einer solchen Alkoholisierung wird häufig jede Unfallverursachung als alkoholbedingte Ausfallerscheinung gesehen. Folge ist, daß die Staatsanwaltschaft ggf. den Erlaß eines Beschlusses beantragt, mit welchem dem Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen wird. Hieran wiederum hängt nicht selten der Arbeitsplatz des Beschuldigten. Das Wehklagen ist also groß.

Wehe dem Beschuldigten, wenn das Amtsgericht, das über den Antrag zu entscheiden hat, sich auch im Reflex-Modus befindet.

In einem Fall, in dem mein Mandant bei nachweislich verschmutzter und hierdurch rutschiger Fahrbahn von der Straße abgekommen war, hatte der zuständige Richter ausgeschlossen, daß der Unfall eine andere Ursache hatte als die geringe Alkoholisierung des Mandanten. Woher das Gericht diese innere Überzeugung nahm, ist mir verborgen geblieben. In einem anderen Fall, in dem mein Mandant mit übersichtlicher Alkoholisierung von der Straße abgekommen war, nachdem ein entgegenkommendes Fahrzeug seine Fahrspur geschnitten und ihn zum Ausweichen gezwungen hatte, war der Amtsrichter ebenfalls davon überzeugt, daß Alkohol die Ursache des Unfalles darstellte.

In dem letztgenannten Fall hat dann die Beschwerdeinstanz die amtsrichterliche Entscheidung aufgehoben und mit deutlichen Worten darauf hingewiesen, daß nicht jeder Unfall mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen gleichzusetzen ist.

Besonders glücklich darf sich derjenige schätzen, bei dem bereits der Amtsrichter nicht über den gleichen Reflex wie die Staatsanwaltschaft verfügt. In dem obigen Beispielsfall mit dem übersehenen Radfahrer hat der zuständige Amtsrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zurückgewiesen. In dem Fall hatte bereits die Polizei ausgeführt, daß es reine Spekulation sei, daß der Unfall auf der Alkoholisierung beruhte. Auf eine solche reine Spekulation wollte der Richter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis dann doch nicht stützen. Wohl dem Beschuldigten, der auf einen RIchter trifft, der sich trotz der geringen Zeit, die ihm für die Bearbeitung eines solchen Antrages durchschnittlich eingeräumt wird, mit der Aktenlage, der einschlägigen Rechtsprechung und dem Vorbringen der Verteidigung inhaltlich auseinandersetzt. Selbstverständlich ist dies leider nicht.

RA Müller