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Eine einzige Tatsache kann die beste Argumentation versauen…

September 3, 2019

Es erscheint ein neuer Mandant und übergibt u.a. ein mit „Testament“ überschriebenes Schriftstück, verfasst von seinem schon vor einiger Zeit verstorbenen Vater.

Er berichtet, ein von ihm beauftragter Notar habe schon den Antrag auf Erteilung eines Erbscheines erstellt, welcher den Mandant als Alleinerbe ausweist.

Soweit so gut – aus dem Schriftstück ergab sich aber nicht einmal eine Erbeinsetzung. Vielmehr „verteilte“ der Vater seinen Nachlass (nur) an seinen Sohn.

Allerdings hat der Erblasser auch eine Tocjter (die Mutter war vorverstorben).

Außerdem waren diverse Verfügungen des Erblassers zu Gunsten des Mandanten erfolgt, so insbesondere auch zwei Immobilien, eine davon vollumfänglich mit einem Wohnrecht belastet – auch die Schwester hatte in der Vergangenheit eine Wohnung schenkweise erhalten. Weiter war der Mandant Betreuer des Erblassers und hatte in dieser Funktion auch im Einvernehmen mit dem Vater über dessen Konten verfügt (was man natürlich nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen könne).

Die Schwester – ihrerseits unter Betreung – macht nun Auskunftsansprüche geltend (ob nun als Erbin oder Pflichtteilsberechtigte ist nicht wirklich klar).

Ich habe also dem Mandanten gegenüber schriftlich (!) äußerst umfangreich die sich nun ergebenden möglichen Konstellationen dargestellt und insbesondere auch ausgeführt, was ich von dem „Testament halte“ und weiter in welchem Umfang überhaupt Auskunft zu erteilen ist, je nachdem, ob der Mandant nun Allein- oder Miterbe geworden ist. Ich habe dabei sogar ein neues Wort gelernt („Kodizill“, einfach mal googeln).

Ich war gerade fertig (immerhin sechs Seiten konzentriertes Erbrecht), als mir der aktuelle Posteingang vorgelegt wurde, darin die Übertragungsverträge betreffend die Immobilien. In einem Übertragungsvertrag fand sich der dezente Hinweis, dass der Vater gemeinsam mit der Mutter ein weiteres – sog. gemeinschaftliches – Testament veranlasst hatte.

Der Inhalt ist mir zwar unbekannt, es kann aber durchaus sein, dass hier Bindungswirkung eingetreten war (also der Vater nicht mehr frei verfügen konnte) und daher der Mandant durchaus Alleinerbe geworden sein kann (es hatte mich ohnehin gewundert, dass der Notar bei diesem „Testament“ so „mutig“ war, einen solchen Antrag zu stellen).

Mit anderen Worten sind etwa fünf von sechs Seiten wahrscheinlich Makulatur und dies nur weil der Mandant mir nicht alle Informationen mitgeteilt hatte.

Dabei sollte m.E. eigentlich jedem klar sein, dass ein Testament, in welchem unter Garantie ein Schlusserbe benannt wurde (am Besten noch man selbst) in irgend einer Form vielleicht doch relevant sein könnte…

Ein Kommentar

  1. Immer wieder toll, wenn juristische Sachverhalte von Laien (vor-)bewertet werden und Tatsachen dem Rechtsexperten vorenthalten werden. Unjüngst berichtete mir ein FA für Erbrecht von einem Fall, in dem ihn die Mandantin, Alleinerbin nach Ihrem Vater und mit Pflichtteilsansprüchen der Kinder ihres als Minderj. angenommenen Adoptivgeschwisters konfrontiert, mit der Abwicklung derselben (Bewertung des Nachlasses etc.) betraut hat. Da die Verjährung nahte, machte der gegnerische Anwalt auch schon ordentlich Druck. Das Bestehen eines solchen Pflichtteilsanspruchs habe sie bereits selbst mittels Kollegen Prof. Dr. iur. Google geprüft, es ging ihr explizit nur um die Abwicklung. Der Anwalt bat dennoch um Vorlage sämtlicher Unterlagen.

    Es stellte sich sodann heraus, dass die Adoption damals unter Ausschluss des Erbrechts nach § 1767 BGB aF erfolgt ist und somit auch keine Pflichtteilsansprüche geschuldet waren. Der Anwalt berichtete, dass die Mandantin völlig enttäuscht darüber war, dass ihre eigene Internetrecherche über die Rechtslage unrichtig war; dass sie sich im Ergebnis einen mittleren sechsstelligen Betrag und einigen Aufwand gespart hat, schien dabei zweitrangig.



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