Archive for the ‘Strafrecht’ Category

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Verbotene Flagge

September 25, 2020

§ 86a StGB betrifft die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Strafbar macht sich danach unter anderem derjenige, der solche Kennzeichen „öffentlich“ verwendet. Die Strafnorm dient dem Schutz des politischen Friedens, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der Völkerverständigung und des Ansehens Deutschlands im Ausland. Es soll bereits dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgrund der Präsenz solcher Symbolik auch nur geduldet werden.

Bei meiner Mandantin hatte nun eine Hausdurchsuchung stattgefunden. An der Wohnzimmerwand hatte die Polizei in diesem Zuge eine Flagge mit entsprechenden Symbolen festgestellt. Daraufhin begab sich einer der Polizeibeamten nach draußen, blickte durch das Wohnzimmerfenster in die Wohnung und fertigte einen Vermerk, wonach man durch das Fenster ohne Schwierigkeiten die Flagge an der Wand sehen konnte. Hiervon wurde auch ein Lichtbild gefertigt.

In der Folge wurde gegen meine Mandantin ein gesondertes Strafverfahren wegen des angenommenen Verstoßes gegen § 86a StGB eingeleitet und Anklage erhoben. Mit der Anklageschrift suchte mich die Mandantin auf.

Das tatbestandsmäßige „öffentliche Verwenden“ setzt die Möglichkeit voraus, daß das Kennzeichen von einem größeren, nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann. Nicht erforderlich ist, daß Personen das Kennzeichen auch tatsächlich bereits wahrgenommen haben. Der BGH hat hierzu etwa einen Fall entschieden, in dem ein älterer Mann, der spätere Angeklagte, eine Wohnung gemietet hatte. In dem Haus lebten noch zwei weitere Mietparteien. Im Streit mit seinen Nachbarn und der Vermieterin malte der Angeklagte im Treppenhaus ein Hakenkreuz an die Wand. Angesichts der persönlichen Beziehung des Angeklagten zu den Nachbarn und der Vermieterin lag nach der Entscheidung des BGH gerade keine „öffentliche“ Verwendung im Sinne von § 86a StGB vor.

In dem Fall meiner Mandantin könnte man nun daran denken, daß Passanten bei einem Blick durch das Wohnzimmerfenster die Flagge wahrnehmen konnten.

Die Polizei hatte in der Akte allerdings nicht geschildert, wo das Wohnzimmerfenster lag. Auf dem Weg dorthin hatte der Polizeibeamte nämlich um das Haus herumgehen und hierbei eine geschlossene Pforte öffnen müssen. Sodann hatte die Polizei zwar den Blick durch das Fenster IN die Wohnung dokumentiert, nicht hingegen den Blick AUS dem Wohnzimmerfenster nach draußen. Andernfalls hätte man nämlich erkennen können, daß sich der Blick auf einen kleinen Gartenbereich und dahinter auf eine hohe Hecke richtete. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, daß sich möglicherweise je nach Winkel ein Blick durch die Hecke erhaschen lasen könnte, so würde man feststellen müssen, daß sich hinter der Hecke eine Kuhweide befand.

Um es kurz zu machen: In der Hauptverhandlung ist meine Mandantin freigesprochen worden.

RA Müller

 

 

 

 

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Das Glück liegt nicht unbedingt in der Ferne

Dezember 18, 2019

Gegen den Mandanten und einen Mitangeklagten war Anklage zum Schöffengericht erhoben worden. Es waren so einige Akten zusammengekommen. Die Angeklagten waren dann auch kurzerhand in Untersuchungshaft genommen worden.

Es gibt den schönen Spruch „U-Haft schafft Rechtskraft“, da schon so mancher Beschuldigter sich um Kopf und Kragen geredet hat, nur um bis zur späteren Verhandlung aus der Haft entlassen zu werden. Ob die Angaben dann immer wahrheitsgemäß sind oder auch manche Angabe getätigt wird, weil man das aus Sicht des Angeklagten möglicherweise so hören möchte, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Vorliegend verhielten sich die beiden Angeklagten indes besonnen und machten von ihrem Schweigerecht Gebrauch.

Bei erster kurzer Durchsicht des Aktenkonvoluts war mein Eindruck noch, daß die Lage eher finster aussah. Je tiefer ich mich indes in die Akte einarbeitete, desto mehr Lichtblicke ergaben sich und meine Miene hellte sich in demselben Maße auf wie Licht auf die Löcher in der Indizienkette der Strafverfolger fiel.

  • Ein wesentliches Indiz (Telekommunikationsdaten) war aus meiner Sicht auf eine Art und Weise erhoben worden, welche der Verwertung entgegenstand. Dies sah auf meinen Verwertungswiderspruch hin auch das Gericht so.
  • Sodann hatte die Polizei sich an einer Stelle versehen und meinem Mandanten eine Telefonnummer zugeordnet, die aber tatsächlich von der (vermuteten) Rufnummer meines Mandanten um eine Ziffer abwich.
  • Zwei Taten sollten laut Anklageschrift mit einem Werkzeug (Schneidbrenner) begangen worden sein, wobei die Angeklagten zeitnah zur Tat über ein solches Werkzeug verfügt hatten. Tatsächlich waren aber schon nach Aktenlage bei beiden Taten je unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz gekommen. Bei keinem der Werkzeuge soll es sich um einen Schneidbrenner gehandelt haben.
  • In einem Fall war die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts, für den es durchaus Anhaltspunkte gab, nicht bedacht worden.

Nach und nach entpuppte sich die Anklageschrift als ein ausgesprochen wackliges Kartenhaus, so daß das Gericht nach dem zweiten Hauptverhandlungstag die Angeklagten hinsichtlich der weiteren Verhandlung aus der Untersuchungshaft entließ.

Mein Mandant wurde im Rahmen der weiteren Hauptverhandlung schließlich freigesprochen.

Der Mitangeklagte „entging“ diesem oder einem ähnlichen Schicksal. Er hatte sich nach der Entlassung aus der Haft abgesetzt. In all den Jahren meiner Tätigkeit habe ich es – wenn mich meine Erinnerung nicht trügt – nur zweimal erlebt, daß ein Mandant sich einem Verfahren durch Flucht entzieht. In beiden Fällen stellten die Mandanten fest, daß das Leben als Dr. Richard Kimble auf der Flucht kein Zuckerschlecken ist, so daß es dann schließlich doch zur Hauptverhandlung kam. Auch vorliegend habe ich erhebliche Zweifel daran, daß der Mitangeklagte meines Mandanten seinen Entschluß sorgfältig durchdacht hat.

RA Müller

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Außer Kontrolle geraten

Oktober 18, 2019

Wenn eine Behörde eine Akte nicht mehr aufzufinden vermag, so wird blumig davon gesprochen, daß die Akte „außer Kontrolle geraten“ ist. Das kommt eher selten vor. In einem laufenden Verfahren, in dem ich für meinen Mandanten zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche auf die Erteilung von Akteneinsicht angewiesen war, geschah dies allerdings gleich zweimal.

Die Polizei hatte zu einem Unfallgeschehen eine Ermittlungsakte angelegt. Ich hatte für den Geschädigten Akteneinsicht beantragt. Die ersten Unfalldaten erhielt ich dann auch von der Polizei vorab übermittelt. Die vollständige Akte sollte ich wie gewohnt über die Staatsanwaltschaft erhalten.

Leider konnte die Staatsanwaltschaft nicht feststellen, daß die Akte dort überhaupt angekommen war.

Die Polizei konnte nachvollziehen, wann die Akte übersandt worden war, rekonstruierte die Akte dann aber anhand der dort gespeicherten Unterlagen und übersandte den Vorgang erneut an die Staatsanwaltschaft.

Wiederum konnte die Staatsanwaltschaft den Eingang der Akte nicht feststellen.

Ich telefonierte daraufhin zunächst mit dem zuständigen Polizeibeamten, der sich ratlos zeigte. Er könne nicht nachvollziehen, weshalb die Staatsanwaltschaft die Akte nicht auffinden könne. Zwar könne er die Akte erneut rekonstruieren und ein drittes Mal an die Staatsanwaltschaft schicken, aber ob dies das Problem beheben werde…

Nun wandte ich mich an die Staatsanwaltschaft, in der Hoffnung, daß der zuständige Polizeibeamte von dort aus angewiesen wird, mir die Akte direkt zu übersenden. Ich wurde schließlich mit einem hilfsbereiten Oberstaatsanwalt verbunden, der sich der Sache annehmen wollte. Es müsse sich doch herausfinden lassen, wo die Akte geblieben sei. Er entwickelte zunächst geradezu einen sportlichen Ehrgeiz, die Akte ausfindig zu machen.

Einige Zeit später erhielt ich die Akte auf Weisung der Staatsanwaltschaft direkt von der Polizei. Das Bermudadreieck wurde umschifft.

RA Müller

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Dauerbrenner: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

August 27, 2019

Immer wieder kommt es vor, daß mich Mandanten aufsuchen, denen eine angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nachgewiesen werden soll, indem Polizeibeamte die (ungefähre) Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeuges von dem (nicht geeichten) Tacho ihres eigenen Fahrzeuges abgelesen haben. Verschiedene Beiträge hierzu, die diese Problematik näher beleuchten, lassen sich bereits in den Untiefen dieses Blogs finden (etwa hier oder hier).

Vorliegend war das Verfahren für meinen Mandanten besonders brisant, da er über keine Fahrerlaubnis verfügte und lediglich mit einem kleinen Mofa unterwegs gewesen war. Mit einer Prüfbescheinigung hätte er dieses Gefährt auch im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen, wenn es denn eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h aufgewiesen hätte (§§ 4, 5 FeV). Kann das Mofa nur geringfügig schneller fahren, so wird noch ein Auge zugedrückt, da eine punktgenaue Drosselung kaum möglich ist. Wird diese Toleranz allerdings überschritten und der Betroffene verfügt lediglich über die Prüfbescheinigung, so liegt ein strafbares „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ vor. Das kann nicht nur teuer werden. Es ist auch die Verhängung einer Sperrfrist möglich, bis zu deren Ablauf dem Betroffenen keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Mein Mandant sollte nun anstelle von 25 km/h immerhin ca. 50 km/h gefahren sein. Da half ihm auch der vom hiesigen OLG Oldenburg bei dieser Art der „Geschwindigkeitsmessung“ vorgesehene Toleranzabzug von 20% nicht.

Er selbst schwor Stein und Bein, daß sein Mofa ordnungsgemäß gedrosselt war und nicht wesentlich schneller als 25 km/h fahren konnte. Die Polizeibeamten, die die Messung/Schätzung vorgenommen hatten, hatten im Rahmen der Kontrolle befürwortet, das Mofa auf den ganz in der Nähe gelegenen Rollenprüfstand zu stellen. Dort hätte sich zweifelsfrei klären lassen, welche Geschwindigkeit das Mofa tatsächlich erreichen konnte. Ein Anruf auf der Polizeiwache habe indes dazu geführt, daß Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gehalten worden sei. Diese habe die – von meinem Mandanten begrüßte! – Überprüfung des Mofas nicht für erforderlich gehalten. Die Sache sei schließlich eindeutig.

Nachträglich hatte mein Mandant sein Mofa durch den TÜV untersuchen lassen. Der TÜV bestätigte eine Höchstgeschwindigkeit von 29 km/h. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war diese Untersuchung allerdings nicht maßgeblich, da mein Mandant schließlich nach der Kontrolle Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen haben konnte. Tolles Argument, wenn doch die Staatsanwaltschaft selbst es verhindert haben soll, daß das Mofa seinerzeit auf den Rollenprüfstand gestellt wurde.

In der Hauptverhandlung konnte ich für meinen Mandanten dann gleichwohl einen Freispruch erzielen. Die beiden Polizeibeamten konnte im Rahmen ihrer eingehenden Vernehmung nicht einmal ein Mindestmaß der Angaben schildern, die die Rechtsprechung an die Verwertung einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tacho stellt.

RA Müller

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Verfahren geplatzt

Juli 27, 2019

Manchmal soll es einfach nicht sein. Gegen den Mandanten läuft vor dem Landgericht ein Strafverfahren. Darin sind mehrere Zeugen aus der Türkei anzuhören. Der vorsitzende Richter sah zudem seinem bevorstehenden Ruhestand entgegen, so daß das zur Verfügung stehende Zeitfenster eine feste Begrenzung hatte.

Nach zwei Monaten und fünf Verhandlungstagen war festzustellen, daß die Zeugen, die bereit waren, zur Verhandlung anzureisen, die bürokratischen Hindernisse bei Einreise aus einem Nicht-EU-Land nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit überwinden konnten.

  • Es begann bereits damit, daß die Zeugen nicht über Reisepässe verfügten und diese zunächst beantragen mußten. Diese Hürde ließ sich noch erstaunlich schnell nehmen.
  • Sodann bedurfte es eines Termins bei der entsprechenden Botschaft zur Beantragung eines Visums. Ein zwischenzeitlicher Versuch des vorsitzenden Richters, die Angelegenheit durch Kontaktaufnahme mit dem Auswärtigen Amt zu beschleunigen, führte zu der Erkenntnis, daß die dortige Antwortgeschwindigkeit sich mit der aus dem Strafverfahren heraus gebotenen Eile nicht in einen harmonischen Einklang bringen ließ.
  • In der Botschaft wurde den einreisewilligen Zeugen schließlich mitgeteilt, daß sie vor der Erteilung des Visums zunächst eine inländische Verpflichtungserklärung beizubringen hatten. Der „Einladende“ aus Deutschland sollte sich also gegenüber der örtlichen Ausländerbehörde verpflichten, für die aufgrund des Aufenthalts der Einreisenden in Deutschland entstehenden Kosten einschließlich etwaiger Krankenbehandlungs- und Rückführungskosten aufzukommen.
  • Nun endlich reagierte das Auswärtige Amt auf die Anfrage des Gerichts. Aus der dortigen Mitteilung ergab sich, daß eine solche Verpflichtungserklärung vorliegend nicht benötigt wurde. Das liegt auch irgendwie auf der Hand, handelt es sich bei dem „Einladenden“ doch um das Gericht selbst. Diese Mitteilung sollten die Einreisewilligen in der Botschaft vorlegen, wobei ihnen das Dokument zuvor übersetzt werden sollte. Die Zeit drängte. Der nächste Verhandlungstermin stand kurz bevor.
  • Nun hakte es etwas bei dem gerichtlich bestellten Dolmetscher, der für die Übersetzung des übersichtlichen Schriftstückes eine Woche benötigte.
  • Direkt danach wurde die Übersetzung den Zeugen per WhatsApp übersandt und diese legten es sogleich bei der Botschaft vor … nur um dann nach Leistung der für das Visum anfallenden Gebühren die Nachricht zu erhalten, daß sich ihr Antrag nun in Bearbeitung befinde und sie Nachricht erhalten würden, sobald das Visum abgeholt werden könne. Diese Nachricht stand noch aus.

An dieser Stelle brach der vorsitzende Richter die Sache nach fünf Hauptverhandlungstagen ab. Trotz allseitigem Bemühen war an diesem Punkt zu erkennen, daß die bis zu seinem Ruhestand verbleibende Zeit nicht mehr ausreichen würde, um das Verfahren zu einem Ende zu bringen.

Also (irgendwann) auf in die nächste Runde.

RA Müller

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Die Anzeige des Anonymus

Juli 17, 2019

Die „besten“ Strafverfahren beginnen mit anonymen Strafanzeigen. Es ist nachvollziehbar, daß Polizei und Staatsanwaltschaft solchen Strafanzeigen mit großer Vorsicht begegnen. Wer sich nicht aus der Deckung wagt und seine eigene Rolle nicht offenbart, dessen Motivlage für die Anzeigeerstattung ist eben auch nicht überprüfbar.

Anfang 2012 ging bei der Polizei ein Schreiben ein, in dem ein Anonymus sich berühmte, Insiderwissen zu den angeblich strafrechtlich relevanten Geschäftspraktiken meines Mandanten zu haben. Die erhobenen Vorwürfe blieben zum Teil etwas nebulös, so daß der zuständige Ermittlungsrichter den ersten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Durchsuchungsbeschlusses dann auch ablehnte.

Ein zweiter Antrag der Staatsanwaltschaft mit angepaßter Begründung führte aber schließlich zum Erfolg und die Polizei durfte noch im Jahr 2012 zahlreiche Unterlagen meines Mandanten sicherstellen.

Die Strafanzeige des Anonymus wurde hierdurch allerdings nicht wirklich erhellt, so daß sich längere polizeiliche Ermittlungen anschlossen, in deren Verlauf fast 100 Zeugen befragt wurden.

Nach Ablauf eines Jahres ließ die Staatsanwaltschaft meinen Mandanten dann wissen, daß die Polizei die Ermittlungen zu über 80 Fallakten nun abgeschlossen habe. Das Verfahren sei „etwas umfangreicher“ und rechtlich auch nicht ganz unkompliziert.

In 2015 erfolgte dann schließlich die Anklageerhebung. Meinem Mandanten wurden immerhin 53 Straftaten vorgeworfen (gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung im Amt).

Die Verhandlung über die angeklagten Taten konnte aufgrund eines Umzuges meines Mandanten in das nicht-europäische Ausland erst jetzt im Jahr 2019 stattfinden. Einige Zeugen wurden befragt. Von Dutzenden weiteren Zeugen konnten die früheren Aussagen in der Hauptverhandlung verlesen werden. Von den Anklagepunkten übrig geblieben ist in strafrechtlicher Hinsicht … nichts. Festzustellen war allein ein Verhalten meines Mandanten, welches arbeitsrechtlich zu beanstanden war, indes keine strafrechtliche Relevanz hatte. Der Mandant wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ob den Anonymus nach all den Jahren überhaupt noch interessiert wie lange er die Justiz mit seiner Strafanzeige aus dem Jahr 2012 beschäftigt gehalten hat?

RA Müller

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Pack die Zahnbürste ein

Juli 13, 2019

… und dann war da noch der Mandant, mit dem ich auf dem Flur des Gerichts auf den Aufruf seiner Strafsache wartete. Recht aufgeregt berichtete er mir, daß er vorsorglich ein belegtes Brot und einen Rasierapparat mit zum Gericht genommen habe.

Für das Brot konnte ich ja noch Verständnis aufbringen. Wer weiß schon, wie lange man auf Gerichtsfluren warten darf. Gerade in Strafsachen ist die Dauer der Hauptverhandlung nicht immer einfach einzuschätzen. Es kommen viele Unwägbarkeiten zusammen. Wird der Angeklagte eine Einlassung abgeben? Werden alle Zeugen überhaupt erscheinen? Wie intensiv wird der Verteidiger von seinem Fragerecht Gebrauch machen? Werden eventuell sogar wider Erwarten noch Zeugen mitgebracht? Oder werden Beweisanträge gestellt? Da kommt es eben gelegentlich auch mal zu erheblichen Verzögerungen.

Ich konnte mir allerdings nicht erklären, welchem Zweck der vom Mandanten mitgebrachte Rasierapparat dienen sollte. Was erwartete mein Mandant denn, wie lange seine Verhandlung dauern würde?

Mit sorgenvollem Blick klärte mein Mandant mich auf, daß er vorbereitet sein wolle, wenn das Gericht ihn heute gleich einkassiere und er in Haft gehen müsse.

Meine bereits im Rahmen der Erörterung der Ermittlungsakte erfolgten Hinweise an meinen Mandanten, daß ihm in der Sache nicht viel passieren könne und es vermutlich nicht einmal zu einer Verurteilung kommen werde, im schlimmsten Fall aber eine übersichtliche Geldstrafe im Raum stünde, waren ersichtlich nicht zu ihm durchgedrungen. Ein aus Sicht des Verteidigers „kleines“ Straferfahren kann für den Angeklagten eine enorme Belastung darstellen. Es tut allen Verfahrensbeteiligten gut, sich dies gelegentlich vor Augen zu führen.

Das gegen meinen Mandanten geführte Strafverfahren ist dann übrigens nach kurzer Verhandlung nach § 153 StPO eingestellt worden.

RA Müller

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Eine Anklageschrift, die es nicht hätte geben dürfen

Juli 9, 2019

Der Mandant hatte sich eine Anklageschrift und damit verbunden eine Hauptverhandlung vor einem auswärtigen Amtsgericht gefangen. Sechs Taten wurden dem Mandanten vorgeworfen. Doch die Beweislage war günstig. Der Täter war jeweils – wenn auch nur flüchtig/flüchtend – beobachtet worden. Die Zeugenaussagen belasteten meinen Mandanten allerdings kaum. Der Täter sei 10-20 Jahre älter als mein Mandant und habe  – anders als mein Mandant – leicht graue Haare gehabt. Nur die beschriebene Statur des Täters ähnelte der Statur meines Mandanten.

Mit fünf Zeugen wurde eine Wahllichtbildvorlag durchgeführt. Den Zeugen wurden also nacheinander verschiedene Lichtbilder gezeigt, auf denen sie den Täter identifizieren sollten. Eines der Bilder zeigte meinen Mandanten, die anderen Lichtbilder waren durch einen Computer erstellt worden. Keiner der Zeugen benannte hierbei meinen Mandanten als Täter. Ein möglicherweise leicht frustrierter Polizeibeamter zeigte dann ausweislich eines Vermerks auf das Bild meines Mandanten und wies einen Zeugen darauf hin, daß dies der Tatverdächtige sei. Der Zeuge ließ sich indes gar nicht beeinflussen von dieser wenig seriösen Durchführung der Wahllichtbildvorlage. Vielmehr entgegnete er, daß er diese Person nie für den Täter gehalten hätte. Er erkenne die Person nicht wieder.

Letztlich gibt es noch ein reichlich unscharfes Video, auf dem der Täter zu sehen sein soll. Die Aufnahme ist indes von derart schlechter Qualität, daß ich selbst nicht zu erkennen vermag, ob es sich auf der Aufnahme um meinen Mandanten handelt.

Wie es dann gleichwohl zur Anklageerhebung kam? Die Polizeibeamten hatten meinen Mandanten nach zwei Taten in der Nähe des Tatortes angetroffen. In der Nähe heißt dabei: Am hellichten Tage ca. 500-1.000 Meter vom Tatort entfernt. In einem Fall erfolgte dieses Antreffen im übrigen sechs Stunden (!) nach der Tat. Aber für eine Anklageerhebung und Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung, für die Voraussetzung immerhin eine Verurteilungswahrscheinlichkeit ist, hat es gereicht.

Nun verhandelten wir also nach mehrstündiger Autofahrt am zuständigen Amtsgericht. Zeugen hatte die Richterin gar nicht erst geladen. Deren Aussagen wären laut Akte nicht sonderlich hilfreich. „Hilfreich“ kann dabei allenfalls aus Verurteilungsperspektive geäußert werden, denn für die Verteidigung konnten die Zeugen durchaus hilfreich sein, hatten sie doch bei der Polizei Merkmale des Täters aufgezählt, die gerade nicht auf meinen Mandanten zutrafen.

Weshalb wir dann überhaupt zusammengefunden hatten? Nun, bekundete die Richterin, man könne in der Sache ja noch einen Sachverständigen an die Analyse der Videoaufzeichnung setzen. Vielleicht könne dieser ja feststellen, ob der Angeklagte mit der gefilmten Person identisch sei. Für einen Freispruch sei es daher noch zu früh. Alternativ sei das Gericht allerdings auch bereit, das Verfahren ohne Auflage einzustellen.

Meinen Mandanten hatte die Tatsache, als bis dato unbescholtener Bürger plötzlich verschiedener Straftaten angeklagt zu werden, bereits in Furcht und Schrecken versetzt. Auch hatte er nun bereits Monate auf die Hauptverhandlung warten und für die Verhandlung den heutigen Vormittag opfern „dürfen“. Er war wenig begeistert, daß die Sache heute kein Ende finden und noch mehr Zeit würde investiert werden müssen, so daß er nolens volens der Einstellung zustimmte.

Es bleibt allerdings erschreckend, mit welcher Leichtfertigkeit mitunter Anklage erhoben und diese zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Es hätte den Strafverfolgern gut zu Gesicht gestanden, vor der Hauptverhandlung das angedrohte Gutachten einzuholen. Ebenso hätte es dem Gericht  gut zu Gesicht gestanden, die Eröffnung des Hauptverfahrens bis dahin abzulehnen und die Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht als Drohmittel einzusetzen. Brrrrrr!

RA Müller

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Scheuklappen

Juni 10, 2019

Der Mandant soll von einer gefälschten Urkunde (einem ausländischen Führerschein) Gebrauch gemacht haben. Die Urkunde weiche vom Original ab und dies sei für den Mandanten auch ersichtlich gewesen. Der polizeiliche „Dokumentenprüfer“ hatte schriftlich darauf verwiesen, daß die Urkunde anhand ihrer äußeren Gestaltung als Totalfälschung erkennbar war. Im übrigen sei die Urkunde in Abwesenheit des Angeklagten ausgestellt worden. Dies sei im Herkunftsland nicht zulässig. Dies wisse man aus einer – in anderer Sache – erteilten Auskunft der entsprechenden Botschaft.

In erster Instanz wurde mein Mandant freigesprochen. Es war bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um eine gefälschte Urkunde handelte. Selbst wenn es eine Fälschung sein sollte, so wäre nicht zu erkennen, daß mein Mandant um diesen Umstand gewußt hatte. Dabei konnte mein Mandant einen Zeugen benennen, der die Urkunde für meinen Mandanten direkt von der ausländischen Behörde abgeholt hatte. Der Richter erster Instanz stellte zudem die Überlegung in den Raum, daß die abholende Person bei der Behörde möglicherweise mehr als die üblichen Gebühren bezahlt hatte, um etwaige bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Auch dies würde die Urkunde noch nicht zu einer Fälschung machen.

Den Freispruch konnte die Staatsanwaltschaft freilich nicht auf sich sitzen lassen und legte folgerichtig Berufung ein. Die Urkunde weise doch sogar sprachliche Fehler in der darauf enthaltenen englischen Übersetzung auf.

Das Gericht hat nun ergänzende Ermittlungen durchführen lassen. Diese führten zu der polizeilichen Bewertung, daß es schon einer in der Erkennung gefälschter Urkunden besonders geschulten Person bedürfe, die Fälschung überhaupt als solche zu erkennen. Vorliegend habe man dies aus der „Drucktechnik“ gefolgert. Dabei legte die Polizei auf Aufforderung des Gerichts Lichtbilder eines „echten“ Führerscheins des entsprechenden Landes vor. Siehe da: Auch dieses Exemplar ist Beleg einer nur unzureichenden Beherrschung der englischen Sprache, so daß sich diverse Rechtschreib- und Grammatikfehler finden lassen. Mein ungeschultes Auge konnte zudem keinen Unterschied in der Drucktechnik erkennen. Immerhin räumte die Polizei ein, daß die Auskunft der Botschaft zu der angeblich erforderlichen Anwesenheit des Antragstellers im Herkunftsland, um eine solche Urkunde zu erhalten, gar nicht die vorliegende Konstellation betrifft. Es sei aber gleichwohl „naheliegend“, daß die Anwesenheit vorliegend erforderlich gewesen wäre.

Aber die Polizei, eifriger Helfer der Staatsanwaltschaft, läßt sich nicht beirren und bleibt der Theorie, daß mein Mandant sich strafbar gemacht hat, treu: Wäre ja auch mißlich, wenn die ganzen Ermittlungen ins Nichts führen würden. Man verwies darauf, daß neben dem „geschulten Auge“ auch der Täter selbst das Dokument natürlich als Fälschung erkennen würde. Da davon auszugehen sei, daß mein Mandant die Tat begangen habe, habe er mithin um die Fälschung gewußt. Seine gegenteiligen Angaben seien als Schutzbehauptung zu bewerten.

Der Begriff der Schutzbehauptung erfreut sich immer dann großer Beliebtheit, wenn man Angaben eines Angeklagten nicht widerlegen kann und um Argumente verlegen ist. Wenn man es dann allerdings nicht einmal für nötig hält, die von dem Angeklagten benannten Zeugen überhaupt anzuhören, dann muß man sich den Vorwurf gefallen lassen, es nicht besser wissen zu wollen. Wer Scheuklappen tragen will, dem ist argumentativ nicht beizukommen.

RA Müller

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Aus eins mach zwei

Juni 9, 2019

Einem meiner Mandanten wird vorgeworfen, bei unklarer Verkehrslage überholt zu haben. Dabei habe zudem er ein Fahrzeug geführt, dessen Betriebserlaubnis durch das Entfernen des Endschalldämpfers erloschen sei.

Die Vorwürfe wurde durch Polizeibeamte festgestellt, welche hinter meinem Mandanten fuhren, ihn anhielten und das von ihm geführte Fahrzeug in Augenschein nahmen. Der Vorgang wurde von der Polizei an die Bußgeldstelle abgegeben, die sodann unter Bezugnahme auf dieselbe Tatzeit und -örtlichkeit zwei gesonderte Bußgeldbescheide gegen meinen Mandanten erließ: Einmal wurde der Überholvorgang sanktioniert, einmal die fehlende Betriebserlaubnis.

Abgesehen davon, daß beide Bescheide mit den üblichen Gebühren verbunden waren, enthielt ein Bescheid lediglich ein übersichtliches Bußgeld, der andere wäre dagegen mit einer Eintragung im Fahreignungsregister verbunden, würde meinem Mandanten also einen „Punkt in Flensburg“ einbringen.

Mein Mandant benannte mir mehrere Zeugen. Diese würden bestätigen können, daß der schwerwiegendere Vorwurf gar nicht zutraf. Tatsächlich wird mein Mandant indes zur Verteidigung auf keine Zeugenaussage angewiesen sein. Dies folgt aus § 84 Abs.1 OWiG:

„Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.“

Entscheidend ist der Begriff „dieselbe Tat„. Dieser Begriff ist nicht gleichbedeutend mit demselben Gesetzesverstoß. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich mehrere mögliche Gesetzesverstöße im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorgangs verwirklicht haben:

„Die Tat umfaßt dabei das gesamte Verhalten des Betroffenen, soweit es mit dem im Bußgeldbescheid bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch mehrere, sachlich-rechtlich selbständige Handlungen sind dabei, soweit sie nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang bilden, verfahrensrechtlich eine einzige Tat, die nur in einem Verfahren verfolgt werden darf.“ (BGH Urt. vom 10.12.1985 – KRB 3/85)

Zur Illustration mag die Entscheidung des OLG Naumburg vom 26.01.2016 (2 Rv 10/16) herhalten. Dem dortigen Angeklagten wurde vorgeworfen, zunächst eine Trunkenheit im Straßenverkehr begangen zu haben, anschließend im Rahmen der polizeilichen Kontrolle die Angabe seiner Personalien verweigert und schließlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Wegen der Ordnungswidrigkeit (Verweigerung der Angabe der Personalien) erging ein Bußgeldbescheid, gegen den auf den Einspruch des Betroffenen hin gerichtlich verhandelt wurde. Der Betroffene wurde dabei wegen der Nichtangabe seiner Personalien verurteilt. Diese Verurteilung führte dazu, daß der Betroffene wegen der Trunkenheit im Verkehr und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nicht mehr verurteilt werden konnte. Es handelte sich nach Bewertung des Gerichts um einen einheitlichen Lebensvorgang.

Warum der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid überhaupt Einspruch eingelegt hat? Während es nach § 84 Abs.1 OWiG bereits ausreicht, daß bereits ein Bußgeldbescheid erlassen worden ist, um der Verfolgung weiterer Ordnungswidrigkeiten, die im Zuge derselben Tat verwirklicht worden sind, entgegenzustehen, tritt diese Rechtsfolge im Hinblick auf Straftaten nur ein, wenn wegen der Ordnungswidrigkeit eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist, § 84 Abs.2 OWiG. Will der Betroffene in einem solchen Fall also seiner Verurteilung wegen einer Straftat entgehen, mag es sich lohnen, auch in einem hoffnungslosen Fall gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen.

In dem Fall meines Mandanten stand keine Straftat im Raum, so daß es für ihn bereits ausreichte, wenn wegen derselben Tat bereits ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorlag. Er konnte also froh sein, daß die Bußgeldstelle ihm nicht einen sondern gleich zwei Bußgeldbescheide geschickt hatte. So konnte er nach seiner Wahl einen der Bescheide rechtskräftig werden lassen und gegen den zweiten einwenden, daß er wegen des Tatgeschehens bereits verurteilt worden war.

RA Müller

(siehe zu einem ganz ähnlichen Fall den Beitrag hier)