Posts Tagged ‘Rechtsanwalt Aurich’

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Dauerbrenner: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

August 27, 2019

Immer wieder kommt es vor, daß mich Mandanten aufsuchen, denen eine angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nachgewiesen werden soll, indem Polizeibeamte die (ungefähre) Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeuges von dem (nicht geeichten) Tacho ihres eigenen Fahrzeuges abgelesen haben. Verschiedene Beiträge hierzu, die diese Problematik näher beleuchten, lassen sich bereits in den Untiefen dieses Blogs finden (etwa hier oder hier).

Vorliegend war das Verfahren für meinen Mandanten besonders brisant, da er über keine Fahrerlaubnis verfügte und lediglich mit einem kleinen Mofa unterwegs gewesen war. Mit einer Prüfbescheinigung hätte er dieses Gefährt auch im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen, wenn es denn eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h aufgewiesen hätte (§§ 4, 5 FeV). Kann das Mofa nur geringfügig schneller fahren, so wird noch ein Auge zugedrückt, da eine punktgenaue Drosselung kaum möglich ist. Wird diese Toleranz allerdings überschritten und der Betroffene verfügt lediglich über die Prüfbescheinigung, so liegt ein strafbares „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ vor. Das kann nicht nur teuer werden. Es ist auch die Verhängung einer Sperrfrist möglich, bis zu deren Ablauf dem Betroffenen keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Mein Mandant sollte nun anstelle von 25 km/h immerhin ca. 50 km/h gefahren sein. Da half ihm auch der vom hiesigen OLG Oldenburg bei dieser Art der „Geschwindigkeitsmessung“ vorgesehene Toleranzabzug von 20% nicht.

Er selbst schwor Stein und Bein, daß sein Mofa ordnungsgemäß gedrosselt war und nicht wesentlich schneller als 25 km/h fahren konnte. Die Polizeibeamten, die die Messung/Schätzung vorgenommen hatten, hatten im Rahmen der Kontrolle befürwortet, das Mofa auf den ganz in der Nähe gelegenen Rollenprüfstand zu stellen. Dort hätte sich zweifelsfrei klären lassen, welche Geschwindigkeit das Mofa tatsächlich erreichen konnte. Ein Anruf auf der Polizeiwache habe indes dazu geführt, daß Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gehalten worden sei. Diese habe die – von meinem Mandanten begrüßte! – Überprüfung des Mofas nicht für erforderlich gehalten. Die Sache sei schließlich eindeutig.

Nachträglich hatte mein Mandant sein Mofa durch den TÜV untersuchen lassen. Der TÜV bestätigte eine Höchstgeschwindigkeit von 29 km/h. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war diese Untersuchung allerdings nicht maßgeblich, da mein Mandant schließlich nach der Kontrolle Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen haben konnte. Tolles Argument, wenn doch die Staatsanwaltschaft selbst es verhindert haben soll, daß das Mofa seinerzeit auf den Rollenprüfstand gestellt wurde.

In der Hauptverhandlung konnte ich für meinen Mandanten dann gleichwohl einen Freispruch erzielen. Die beiden Polizeibeamten konnte im Rahmen ihrer eingehenden Vernehmung nicht einmal ein Mindestmaß der Angaben schildern, die die Rechtsprechung an die Verwertung einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tacho stellt.

RA Müller

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In Sachen Abgasskandal

Juli 26, 2019

Seit geraumer Zeit bearbeite ich nun zahlreiche Verfahren aus dem Bereich des „Abgasskandals“. Reihenweise wird die Volkswagen AG durch das hiesige Landgericht zur Rücknahme der betroffenen Fahrzeuge gegen Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Der Käufer muß sich auf den Kaufpreis die „gezogenen Nutzungen“ nach der jeweiligen Kilometerleistung anrechnen lassen. Dabei ist die Berechnung dieser Nutzungen in aller Regel für den Käufer derart günstig, daß er sich mit der Rückgabe des Kfz deutlich besser steht, als wenn er das Fahrzeug selbst verkaufen müßte.

Ein kleiner Wermutstropfen lag bislang bei der Frage, von welcher „erwartbaren Gesamtlaufleistung“ des Fahrzeuges das Gericht ausgeht. Je höher die erwartbare Gesamtlaufleistung liegt, desto geringer ist schließlich der Anteil, den der Kläger „abgefahren“ hat. Nach meiner Wahrnehmung geht die überwiegende Anzahl der Richter im hiesigen Bereich von einer erwartbaren Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Dies erscheint mir auch als nicht unrealistisch. Einige wenige Richter legen ihrer Berechnung indes lediglich 250.000 km zugrunde.

Nun liegt mir in einem Berufungsverfahren ein erfreulicher Hinweis des OLG Oldenburg (2 U 194/19) vor, mit dem das Gericht der Volkswagen AG rät, die von dort aus eingelegte Berufung zurückzunehmen:

„Im Übrigen wird angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Die Auffassung des Senats zur Anwendbarkeit des § 826 BGB ist bekannt. Das Landgericht ist weiter von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ausgegangen, was der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht. Der zugesprochene Zinsausspruch begegnet keinen Bedenken.“

Das ist geradezu wohltuend angesichts der ständigen Beteuerungen der Gegenseite, daß Gerichte (angeblich) überwiegend von einer niedrigeren erwartbaren Gesamtlaufleistung ausgehen.

RA Müller

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Scheuklappen

Juni 10, 2019

Der Mandant soll von einer gefälschten Urkunde (einem ausländischen Führerschein) Gebrauch gemacht haben. Die Urkunde weiche vom Original ab und dies sei für den Mandanten auch ersichtlich gewesen. Der polizeiliche „Dokumentenprüfer“ hatte schriftlich darauf verwiesen, daß die Urkunde anhand ihrer äußeren Gestaltung als Totalfälschung erkennbar war. Im übrigen sei die Urkunde in Abwesenheit des Angeklagten ausgestellt worden. Dies sei im Herkunftsland nicht zulässig. Dies wisse man aus einer – in anderer Sache – erteilten Auskunft der entsprechenden Botschaft.

In erster Instanz wurde mein Mandant freigesprochen. Es war bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um eine gefälschte Urkunde handelte. Selbst wenn es eine Fälschung sein sollte, so wäre nicht zu erkennen, daß mein Mandant um diesen Umstand gewußt hatte. Dabei konnte mein Mandant einen Zeugen benennen, der die Urkunde für meinen Mandanten direkt von der ausländischen Behörde abgeholt hatte. Der Richter erster Instanz stellte zudem die Überlegung in den Raum, daß die abholende Person bei der Behörde möglicherweise mehr als die üblichen Gebühren bezahlt hatte, um etwaige bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Auch dies würde die Urkunde noch nicht zu einer Fälschung machen.

Den Freispruch konnte die Staatsanwaltschaft freilich nicht auf sich sitzen lassen und legte folgerichtig Berufung ein. Die Urkunde weise doch sogar sprachliche Fehler in der darauf enthaltenen englischen Übersetzung auf.

Das Gericht hat nun ergänzende Ermittlungen durchführen lassen. Diese führten zu der polizeilichen Bewertung, daß es schon einer in der Erkennung gefälschter Urkunden besonders geschulten Person bedürfe, die Fälschung überhaupt als solche zu erkennen. Vorliegend habe man dies aus der „Drucktechnik“ gefolgert. Dabei legte die Polizei auf Aufforderung des Gerichts Lichtbilder eines „echten“ Führerscheins des entsprechenden Landes vor. Siehe da: Auch dieses Exemplar ist Beleg einer nur unzureichenden Beherrschung der englischen Sprache, so daß sich diverse Rechtschreib- und Grammatikfehler finden lassen. Mein ungeschultes Auge konnte zudem keinen Unterschied in der Drucktechnik erkennen. Immerhin räumte die Polizei ein, daß die Auskunft der Botschaft zu der angeblich erforderlichen Anwesenheit des Antragstellers im Herkunftsland, um eine solche Urkunde zu erhalten, gar nicht die vorliegende Konstellation betrifft. Es sei aber gleichwohl „naheliegend“, daß die Anwesenheit vorliegend erforderlich gewesen wäre.

Aber die Polizei, eifriger Helfer der Staatsanwaltschaft, läßt sich nicht beirren und bleibt der Theorie, daß mein Mandant sich strafbar gemacht hat, treu: Wäre ja auch mißlich, wenn die ganzen Ermittlungen ins Nichts führen würden. Man verwies darauf, daß neben dem „geschulten Auge“ auch der Täter selbst das Dokument natürlich als Fälschung erkennen würde. Da davon auszugehen sei, daß mein Mandant die Tat begangen habe, habe er mithin um die Fälschung gewußt. Seine gegenteiligen Angaben seien als Schutzbehauptung zu bewerten.

Der Begriff der Schutzbehauptung erfreut sich immer dann großer Beliebtheit, wenn man Angaben eines Angeklagten nicht widerlegen kann und um Argumente verlegen ist. Wenn man es dann allerdings nicht einmal für nötig hält, die von dem Angeklagten benannten Zeugen überhaupt anzuhören, dann muß man sich den Vorwurf gefallen lassen, es nicht besser wissen zu wollen. Wer Scheuklappen tragen will, dem ist argumentativ nicht beizukommen.

RA Müller

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Strafverteidigung als Marathonlauf

Januar 25, 2018

Bisweilen gleicht Strafverteidigung einem Marathonlauf. Ein Verfahren, auf das diese Bezeichnung trefflich paßt, hat gerade ein glückliches Ende genommen.

Mein Mandant hatte eine ganze Menge Straftaten begangen, welche nicht als Bagatellstraftaten bezeichnet werden konnten. Besondere Umstände bei der Begehung der Straftaten sowie das Nachtatverhalten, das von Aufklärungshilfe über Reue bis hin zur anteiligen Schadenwiedergutmachung reichte, warfen indes – zumindest aus Sicht der Verteidigung – ein milderes Licht auf die Angelegenheit.

  • Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage zur Großen Strafkammer am Landgericht und brachte damit zum Ausdruck, daß die zu verhängende Freiheitsstrafe über vier Jahren liegen könnte.
  • Hiergegen wandte ich mich im Eröffnungsverfahren und erzielte einen ersten Teilerfolg: Das Landgericht wies die Sache dem Amtsgericht zu. Mit einer höher als vier Jahre liegenden Freiheitsstrafe sei nicht zu rechnen. Die Strafgewalt des Amtsgerichts reiche also aus.
  • Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen diese Enstcheidung an. Das Landgericht solle die Sache verhandeln.
  • Das Oberlandesgericht hielt die Entscheidung des Landgerichts, so daß die Verhandlung vor dem Amtsgericht anstand.
  • Dort machte das Schöffengericht dann in kurzen Prozeß und verhängte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Da Freiheitsstrafen über zwei Jahren nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können, hätte mein Mandant die Strafe absitzen müssen. Mein nicht vorbestrafter Mandant hätte seinen Arbeitsplatz verloren. Die Fortsetzung der begonnenen Schadenwiedergutmachung wäre unmöglich geworden. Man mag zutreffend argumentieren, daß er dies selbst verschuldet hatte und Mitleid nicht angebracht ist. Es darf gleichwohl die Frage erlaubt sein, ob dies den Strafzwecken entsprochen hätte.
  • Ich legte für meinen Mandanten Rechtsmittel gegen das Urteil ein, um eigentlich eine Revision durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein, so daß wegen deren größeren Prüfungsumfanges die Berufung durchzuführen war. Dabei berief sich die Staatsanwaltschaft zur Rechtfertigung der Berufung darauf, daß das Urteil des Schöffengerichts viel zu milde ausgefallen sei.
  • Hatte das Schöffengericht noch gemeint, auf die Vernehmung von Zeugen verzichten zu können, so erfolgte vor dem Berufungsgericht eine geradezu ausufernde Beweisaufnahme. Mein Mandant hatte zwar ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Gleichwohl wurden an einer zweistelligen Anzahl von Verhandlungstagen ca. 100 Zeugen gehört und zur Bewertung der Höhe des angerichteten Schadens ein Sachverständiger angehört, der fast jedem der Termine beiwohnte. Der Kostenumfang wird enorm gewesen sein. Am Ende stand für meinen Mandanten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
  • Da ich das Urteil in mehr als einem Punkt nicht für recht nachvollziehbar hielt, legte ich für meinen Mandanten Revision ein. Das zuständige Oberlandesgericht hob den Rechtsfolgenausspruch auf und wies die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurück.
  • Viele Jahre nach der Anklageerhebung hat die Sache nun ein glückliches Ende genommen: Der Mandant ist zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kosten des Rechtsmittelsverfahrens wurden überwiegend der Staatskasse auferlegt.

Auch wenn ich sicherlich aufgrund meiner Position als Verteidiger kein objektiver Beobachter des Verfahrens bin, so halte ich doch die Entscheidung des Gerichts, die sich das Gericht allem Anschein nach nicht leicht gemacht hat, für sorgsam abgewogen, nachvollziehbar und der Sache angemessen.

Bisweilen bedarf es eines langen Atems, um zu einem solchen Ergebnis zu gelangen. Dabei muß auch der Angeklagte einem solchen Marathonlauf gewachsen sein. Die Belastung, die das Verfahren und die unsicheren Zukunftsaussichten für meinen Mandanten darstellten, waren meinem Mandanten im Laufe der Jahre immer deutlicher anzumerken. In diesem Verfahren konnte man dann am Ende allerdings auch den sprichwörtlichen Stein hören, der ihm bei der Urteilsverkündung vom Herzen fiel.

RA Müller

 

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Der geständige Verteidiger

Januar 15, 2018

Rechtsanwalt Hoenig berichtet in einem Blogbeitrag von einem Fall, in dem der Verteidiger für seine Mandantin das Geständnis vorgetragen hatte, woraufhin die Mandantin – nach Rechtskraft des sodann verkündeten Urteils – auf dem Gerichtsflur von sich gab, das Geständnis auf Anraten ihres Verteidigers abgegeben zu haben. Die Taten haben sie tatsächlich gar nicht begangen.

Hatte der Verteidiger seine Mandantin tatsächlich zur Abgabe eines Geständnisses gedrängt? Oder wollte die Mandantin gegenüber ihren Bekannten nur nicht als Straftäterin dastehen und mußte nun das Geständnis rechtfertigen?

Mich erinnert der Beitrag an eine Verteidigung, bei der in erster Instanz zunächst der Verteidiger des Mitangeklagten eine Stellungnahme abgab und erklärte, daß sein Mandant die angeklagten Taten sämtlichst begangen habe und dies bereue.

Danach gab ich für meinen Mandanten eine Stellungnahme ab, wonach mein Mandant einen Teil der Taten – wenn auch verbunden mit einer abweichenden rechtlichen Würdigung – einräumte, einen anderen Teil jedoch bestritt.

Tatsächlich ergaben sich bereits aus den Ermittlungsakten Zweifel daran, daß die Angeklagten für einige der Taten verantwortlich waren. Ein Beispiel: Bei einer auch von meinem Mandanten eingeräumten Tat waren die Angeklagten in ein Haus eingebrochen. Sie hatten indes feststellen müssen, daß dort nichts Stehlenswertes vorhanden war, zumal das Haus seit geraumer Zeit unbewohnt war. Mit leeren Händen waren sie wieder abgezogen. In dieses Haus sollten die Angeklagten dann laut Anklageschrift wenig später erneut eingedrungen sein und  – welch eine Überraschung – nichts Stehlenswertes gefunden haben.

Das Gericht konfrontierte den über seinen Verteidiger umfassend geständigen Mitangeklagten mit dem Bestreiten meines Mandanten, woraufhin er angab, die von meinem Mandanten bestrittenen Taten nicht begangen zu haben. Auf die Frage, weshalb sein Verteidiger dann soeben das umfassende Geständnis abgegeben hatte, warf besagter Verteidiger ein, daß er mit seinem Mandanten die einzelnen Taten des durchaus umfangreichen Aktenkonvoluts gar nicht alle besprochen hatte.

Die Bezeichnung des Verteidigers als Geständnisbegleiter ist noch zurückhaltend formuliert, hatte er das Geständnis doch nicht lediglich kopfnickend begleitet, sondern war insoweit federführend tätig.

Übrigens sind beide Angeklagten nicht verurteilt worden im Hinblick auf jene Tatvorwürfe, die mein Mandant bestritten hat.

RA Müller

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Der Angeklagte ist verdächtig … ja warum eigentlich?

November 23, 2017

Es kommt gelegentlich vor, daß sich ein Angeklagter fragt, wie es passieren konnte, daß er auf der Anklagebank gelandet ist. Ebenfalls nicht selten kommt es vor, daß ein Strafverteidiger ein gewisses Maß an Empörung darüber zum Ausdruck bringt, daß gegen seinen Mandanten angesichts der eher schwachen Beweislage überhaupt Anklage erhoben worden ist. Ich war nun allerdings zum ersten Mal an einem Strafverfahren beteiligt, in dem keiner der Verfahrensbeteiligten zu sagen vermochte, worauf sich der Tatverdacht gegen einen der vier Angeklagten stützte.

Angezeigt worden war eine schwere räuberische Erpressung, wobei die Tat unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges begangen worden sein sollte. Zur Einordnung: Bei einer solchen Straftat sieht das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vor. Da kann bei einem Angeklagten schon eine gewisses Maß an Sorge auftreten, wenn er sich mit einem solchen Tatvorwurf konfrontiert sieht.

Der Anzeigeerstatter und eine Zeugin hatten von vier Tätern berichtet, zu einem dieser Täter indes nicht viel mehr als dessen Staatsangehörigkeit angeben können. Den Täter habe man vor dem Tattag noch nie gesehen. Wie die Zeugen überhaupt auf die Staatsangehörigkeit schließen konnten, ergibt sich aus der Ermittlungsakte nicht. Dies hat die Polizei die Zeugen nicht gefragt. Angaben der Zeugen, anhand derer man den vierten Täter hätte identifizieren können, gab es nicht. In der Akte folgten dann Angaben zu einer Telefonüberwachung. Den derart abgehörten Gesprächen ließ sich indes ebenfalls nur der Hinweis auf die Staatsangehörigkeit des vierten Täters entnehmen.

Auf der Anklagebank saß nun ein Angeklagter mit eben dieser Staatsangehörigkeit.

Die Verknüpfung zwischen der dürftigen Aktenlage und der Person auf der Anklagebank wurde durch einen polizeilichen Ermittlungsbericht hergestellt: Darin wurde der Name des späteren Angeklagten genannt. Mit keiner Silbe wurde erwähnt, wie man auf den Gedanken gekommen war, daß es sich bei dieser Person um einen der Täter handelte. Gerüchten zufolge gibt es noch mehr Personen mit dieser Staatsangehörigkeit. Es soll ein ganzes Land davon geben.

Da die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte, müßte man dort angenommen haben, es bestünde die „überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung“ auch dieses Angeklagten. Woraus der Tatverdacht sich ergeben sollte, erläuterte die Anklageschrift nicht.

Das Gericht hatte die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, damit also seinerseits die „überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung“ bejaht.

In der Hauptverhandlung wurde nun jener Sachbearbeiter der Polizei angehört, welcher den Vermerk seinerzeit verfaßt hatte. Er bekundete, daß er von einem Kollegen die Anweisung erhalten habe, den Täter, von dem die Zeugen die (angebliche) Staatsangehörigkeit benannt hatten, mit dem sodann eingetragenen Namen zu bezeichnen. Wie der Kollege seinerzeit darauf gekommen sei, sei ihm allerdings nicht bekannt. Er kenne keine Aktenbestandteile, die zu diesem Schluß führten. Auch seine ebenfalls in der Hauptverhandlung vernommene Kollegin konnte hierzu keine Erkenntnisse beisteuern. Selbst der Vertreterin der Staatsanwaltschaft war nicht bekannt, woraus sich der konkrete Tatverdacht gegen diesen Angeklagten ergeben sollte.

Im Ergebnis sind neben diesem Angeklagten auch die drei anderen Angeklagten freigesprochen worden. Mag man trotz einer ausgesprochen dürftigen Aktenlage gerade noch verstehen, daß gegen die anderen drei Personen Anklage erhoben worden ist. Im Hinblick auf den vierten Angeklagten ist dies indes schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Entschuldigt hat sich bei dem Angeklagten niemand.

RA Müller

 

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Die Revisions-Hauptverhandlung

November 6, 2017

Neulich stand in einem strafrechtlichen Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung vor dem zuständigen OLG an. Es sollte über das von mir eingelegte Rechtsmittel verhandelt werden. Da über das Gros der Revisionen ohne Hauptverhandlung entschieden wird, sah ich dem Termin durchaus mit Spannung entgegen. Ich war allerdings guter Dinge: Zum einen hielt ich das Urteil in mehreren Punkten für nur schwer erträglich. Zum anderen hatte sogar die Generalstaatsanwaltschaft meiner Revision in wesentlichen Punkten beigepflichtet und ausgeführt, daß das angefochtene Urteil aufzuheben sein werde.

In der Verhandlung vor dem OLG erfolgte dann die Kehrtwende: Die anwesende Staatsanwältin führte aus, daß sie der Auffassung der vorherigen Sachbearbeiterin nicht zustimmen könne. Aus ihrer Sicht sei das angefochtene Urteil zwar in Teilen zu beanstanden, es weise indes keine Rechtsfehler auf, die zu einer Aufhebung des Urteils Anlaß gäben.

Dem schloß sich wiederum der Vorsitzende des Senats an und führte aus, daß nach bisheriger Wertung des Senats die Revision zurückzuweisen sei.

Es folgte ein juristisch durchaus spannender Austausch von Argumenten. Schließlich zog sich der Senat zur Beratung zurück.

Nach der – laut Angaben der Staatsanwältin ungewöhnlich langen – Beratung verkündete das Gericht sodann die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils. Der Vorsitzende wies darauf hin, daß diese Sache zeige, wie sinnvoll Hauptverhandlungen auch in Revisionssachen sein könnten. Hätte man schriftlich über die Sache entschieden, ohne daß also der Diskurs in der Hauptverhandlung stattgefunden hätte, wäre das Ergebnis wohl anders ausgefallen.

RA Müller

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Keine Glaskugel zur Hand

Oktober 13, 2017

Neulich hatte ich bereits über die Untauglichkeit des Einsatzes von Glaskugeln in Ermittlungsverfahren berichtet (siehe hier). Auf der anderen Seite könnte eine solche Glaskugel sicherlich total praktisch sind. Bis der Werkzeugkoffer der Ermittlungsbehörden auch solche Werkzeuge umfaßt, wird es indes bei polizeilichen Aktenvermerken wie dem folgenden bleiben müssen:

„Die Beschuldigte ist in der Vergangenheit bislang noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Ob sie erneut durch Straftaten auffallen wird, kann nicht gesagt werden.“

Es hätte mich gewundert, wenn der Polizei Erkenntnisse zu etwaigen zukünftigen Straftaten meiner Mandantin vorgelegen hätten.

RA Müller

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Kampf gegen Windmühlenflügel

Juni 19, 2017

Die Erfahrung lehrt: Wenn ein Sachverständiger einmal einen Entschluß gefaßt hat, ist ein seeeehr langer Hebel erforderlich, ihn hiervon wieder abzubringen. Gleichwohl kann es sich auszahlen, nicht vorschnell aufzugeben.

In einem kürzlich geführten Zivilverfahren sah sich mein Mandant, ein Handwerker alten Schlages, dem Vorwurf ausgesetzt, einen nicht ganz geringen Maschinenschaden verursacht zu haben. Er wies dies entrüstet zurück und war dabei derart überzeugend, daß ich meinem Mandanten voll und ganz Glauben schenkte.

Also beauftragte der Gegner zunächst selbst einen Sachverständigen, der sodann bestätigte, daß mein Mandant den Schaden zu verantworten hatte. Mein Mandant blieb kämpferisch und leistete keine Zahlung.

Es kam zum Prozeß. Der Richter gab eingangs zu verstehen, daß die Erfolgsaussichten eher bei der Gegenseite liegen dürften. Aber ja, wenn mein Mandant es denn wolle, dann werde das Gericht ein weiteres Gutachten in Auftrag geben. Ja, das wollte mein Mandant.

Düster sah es aus, als auch der gerichtlich bestellte Sachverständige meinen Mandanten in der Pflicht sah.

Zusammengerechnet waren es sicherlich einige Stunden, die mein Mandant und ich in der Folge zusammensaßen. Ich hatte die Gutachten aus juristischer Sicht geprüft und einer Plausibilitätskontrolle unterzogen. Mein Mandant steuerte sein Fachwissen bei. Gemeinsam ergaben sich so verschiedene Angriffspunkte. Mein Mandant scheute zudem keine Kosten und ließ durch eine Drittfirma den angeblichen Schadenhergang nachstellen. Dies führte aus unserer Sicht zu der Erkenntnis, daß sich der Schaden gar nicht wie behauptet ereignet haben konnte. Dies hielten wir für technisch ausgeschlossen.

Das Gericht leitete unsere Einwände an den gerichtlich bestellten Sachverständigen weiter, der indes an seinem vorherigen Gutachten im Wesentlichen festhielt. Wieder ergeben sich indes einige Fragen.

Bevor nun ein weiteres Ergänzungsgutachten eingeholt oder eine mündliche Anhörung des Gutachters erfolgen konnte, beraumte der Richter einen Termin ohne den Sachverständigen an. Im Termin dann die Wende des Verfahrens: Der Richter war überzeugt, daß der Schaden nicht auf das Handeln meines Mandanten zurückzuführen war. Sogar der gegnerische Rechtsanwalt schien dies einzusehen, antwortete er doch auf die Frage des Gerichts, ob es sein könne, daß er den Falschen verklagt habe, in der Weise, daß er dies bei Klageerhebung nicht habe ahnen können.

So manchem Mandanten wäre auf dieser prozessualen Wegstrecke die Puste ausgegangen. Um so erfreulicher ist es, daß die Überzeugung meines Mandanten und unserer beider Hartnäckigkeit der Sache zum Erfolg verholfen haben.

RA Müller

 

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„Wort für Wort“

Mai 4, 2017

In einem Strafverfahren war ein Zeuge auf einen Dolmetscher angewiesen. Es entspann sich folgender sinngemäß wiedergegebener Dialog zwischen dem Richter und dem Sachverständigen:

Richter: „Übersetzen Sie konsekutiv oder können Sie auch simultan übersetzen?“

Dolmetscher: „Ich kann wortwörtlich übersetzen.“

Richter: „Ich begrüße die wortwörtliche Übersetzung.“

Inmitten der längeren Befragung des Zeugen durch die Staatsanwältin teilte mir mein Mandant mit, daß der Dolmetscher nicht richtig übersetze. Der Dolmetscher und der Zeuge verstünden sich nicht richtig. Selbst überprüfen konnte ich dies zwar nicht. Festzustellen war jedenfalls, daß der Zeuge dem Dolmetscher gegenüber teilweise lange Ausführungen getätigt hatte, Nachfragen des Dolmetschers erfolgt waren und der Zeuge dem Dolmetscher mit den Fingern auf der Tischplatte gezeigt hatte, wie sich welches Fahrzeug bewegt hatte, wobei die anschließende Übersetzung bereits aufgrund der zum Teil deutlich unterschiedlichen Länge der Erklärungen hinter dem Aussageinhalt des Zeugen zurückblieb.

Dabei ist es in der Regel bereits wenig glücklich, wenn der Dolmetscher selbst Nachfragen an einen Zeugen richtet und nicht wörtlich übersetzt, um die Verständnisfragen den Prozeßbeteiligten zu überlassen.

Auf die Kritik an der möglicherweise unrichtigen Übersetzung teilte der Dolmetscher mit: „Dann mache ich das jetzt so, daß ich das Wort für Wort übersetze.“

Mit der Aussage des Zeugen war im Ergebnis wenig anzufangen. Es bleiben leider letzte Zweifel, ob dies an dem Zeugen oder (auch) an dem Dolmetscher lag.

RA Müller