Posts Tagged ‘Freispruch’

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Verbotene Flagge

September 25, 2020

§ 86a StGB betrifft die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Strafbar macht sich danach unter anderem derjenige, der solche Kennzeichen „öffentlich“ verwendet. Die Strafnorm dient dem Schutz des politischen Friedens, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der Völkerverständigung und des Ansehens Deutschlands im Ausland. Es soll bereits dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgrund der Präsenz solcher Symbolik auch nur geduldet werden.

Bei meiner Mandantin hatte nun eine Hausdurchsuchung stattgefunden. An der Wohnzimmerwand hatte die Polizei in diesem Zuge eine Flagge mit entsprechenden Symbolen festgestellt. Daraufhin begab sich einer der Polizeibeamten nach draußen, blickte durch das Wohnzimmerfenster in die Wohnung und fertigte einen Vermerk, wonach man durch das Fenster ohne Schwierigkeiten die Flagge an der Wand sehen konnte. Hiervon wurde auch ein Lichtbild gefertigt.

In der Folge wurde gegen meine Mandantin ein gesondertes Strafverfahren wegen des angenommenen Verstoßes gegen § 86a StGB eingeleitet und Anklage erhoben. Mit der Anklageschrift suchte mich die Mandantin auf.

Das tatbestandsmäßige „öffentliche Verwenden“ setzt die Möglichkeit voraus, daß das Kennzeichen von einem größeren, nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann. Nicht erforderlich ist, daß Personen das Kennzeichen auch tatsächlich bereits wahrgenommen haben. Der BGH hat hierzu etwa einen Fall entschieden, in dem ein älterer Mann, der spätere Angeklagte, eine Wohnung gemietet hatte. In dem Haus lebten noch zwei weitere Mietparteien. Im Streit mit seinen Nachbarn und der Vermieterin malte der Angeklagte im Treppenhaus ein Hakenkreuz an die Wand. Angesichts der persönlichen Beziehung des Angeklagten zu den Nachbarn und der Vermieterin lag nach der Entscheidung des BGH gerade keine „öffentliche“ Verwendung im Sinne von § 86a StGB vor.

In dem Fall meiner Mandantin könnte man nun daran denken, daß Passanten bei einem Blick durch das Wohnzimmerfenster die Flagge wahrnehmen konnten.

Die Polizei hatte in der Akte allerdings nicht geschildert, wo das Wohnzimmerfenster lag. Auf dem Weg dorthin hatte der Polizeibeamte nämlich um das Haus herumgehen und hierbei eine geschlossene Pforte öffnen müssen. Sodann hatte die Polizei zwar den Blick durch das Fenster IN die Wohnung dokumentiert, nicht hingegen den Blick AUS dem Wohnzimmerfenster nach draußen. Andernfalls hätte man nämlich erkennen können, daß sich der Blick auf einen kleinen Gartenbereich und dahinter auf eine hohe Hecke richtete. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, daß sich möglicherweise je nach Winkel ein Blick durch die Hecke erhaschen lasen könnte, so würde man feststellen müssen, daß sich hinter der Hecke eine Kuhweide befand.

Um es kurz zu machen: In der Hauptverhandlung ist meine Mandantin freigesprochen worden.

RA Müller

 

 

 

 

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Dauerbrenner: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

August 27, 2019

Immer wieder kommt es vor, daß mich Mandanten aufsuchen, denen eine angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nachgewiesen werden soll, indem Polizeibeamte die (ungefähre) Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeuges von dem (nicht geeichten) Tacho ihres eigenen Fahrzeuges abgelesen haben. Verschiedene Beiträge hierzu, die diese Problematik näher beleuchten, lassen sich bereits in den Untiefen dieses Blogs finden (etwa hier oder hier).

Vorliegend war das Verfahren für meinen Mandanten besonders brisant, da er über keine Fahrerlaubnis verfügte und lediglich mit einem kleinen Mofa unterwegs gewesen war. Mit einer Prüfbescheinigung hätte er dieses Gefährt auch im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen, wenn es denn eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h aufgewiesen hätte (§§ 4, 5 FeV). Kann das Mofa nur geringfügig schneller fahren, so wird noch ein Auge zugedrückt, da eine punktgenaue Drosselung kaum möglich ist. Wird diese Toleranz allerdings überschritten und der Betroffene verfügt lediglich über die Prüfbescheinigung, so liegt ein strafbares „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ vor. Das kann nicht nur teuer werden. Es ist auch die Verhängung einer Sperrfrist möglich, bis zu deren Ablauf dem Betroffenen keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Mein Mandant sollte nun anstelle von 25 km/h immerhin ca. 50 km/h gefahren sein. Da half ihm auch der vom hiesigen OLG Oldenburg bei dieser Art der „Geschwindigkeitsmessung“ vorgesehene Toleranzabzug von 20% nicht.

Er selbst schwor Stein und Bein, daß sein Mofa ordnungsgemäß gedrosselt war und nicht wesentlich schneller als 25 km/h fahren konnte. Die Polizeibeamten, die die Messung/Schätzung vorgenommen hatten, hatten im Rahmen der Kontrolle befürwortet, das Mofa auf den ganz in der Nähe gelegenen Rollenprüfstand zu stellen. Dort hätte sich zweifelsfrei klären lassen, welche Geschwindigkeit das Mofa tatsächlich erreichen konnte. Ein Anruf auf der Polizeiwache habe indes dazu geführt, daß Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gehalten worden sei. Diese habe die – von meinem Mandanten begrüßte! – Überprüfung des Mofas nicht für erforderlich gehalten. Die Sache sei schließlich eindeutig.

Nachträglich hatte mein Mandant sein Mofa durch den TÜV untersuchen lassen. Der TÜV bestätigte eine Höchstgeschwindigkeit von 29 km/h. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war diese Untersuchung allerdings nicht maßgeblich, da mein Mandant schließlich nach der Kontrolle Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen haben konnte. Tolles Argument, wenn doch die Staatsanwaltschaft selbst es verhindert haben soll, daß das Mofa seinerzeit auf den Rollenprüfstand gestellt wurde.

In der Hauptverhandlung konnte ich für meinen Mandanten dann gleichwohl einen Freispruch erzielen. Die beiden Polizeibeamten konnte im Rahmen ihrer eingehenden Vernehmung nicht einmal ein Mindestmaß der Angaben schildern, die die Rechtsprechung an die Verwertung einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tacho stellt.

RA Müller

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Die Anzeige des Anonymus

Juli 17, 2019

Die „besten“ Strafverfahren beginnen mit anonymen Strafanzeigen. Es ist nachvollziehbar, daß Polizei und Staatsanwaltschaft solchen Strafanzeigen mit großer Vorsicht begegnen. Wer sich nicht aus der Deckung wagt und seine eigene Rolle nicht offenbart, dessen Motivlage für die Anzeigeerstattung ist eben auch nicht überprüfbar.

Anfang 2012 ging bei der Polizei ein Schreiben ein, in dem ein Anonymus sich berühmte, Insiderwissen zu den angeblich strafrechtlich relevanten Geschäftspraktiken meines Mandanten zu haben. Die erhobenen Vorwürfe blieben zum Teil etwas nebulös, so daß der zuständige Ermittlungsrichter den ersten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Durchsuchungsbeschlusses dann auch ablehnte.

Ein zweiter Antrag der Staatsanwaltschaft mit angepaßter Begründung führte aber schließlich zum Erfolg und die Polizei durfte noch im Jahr 2012 zahlreiche Unterlagen meines Mandanten sicherstellen.

Die Strafanzeige des Anonymus wurde hierdurch allerdings nicht wirklich erhellt, so daß sich längere polizeiliche Ermittlungen anschlossen, in deren Verlauf fast 100 Zeugen befragt wurden.

Nach Ablauf eines Jahres ließ die Staatsanwaltschaft meinen Mandanten dann wissen, daß die Polizei die Ermittlungen zu über 80 Fallakten nun abgeschlossen habe. Das Verfahren sei „etwas umfangreicher“ und rechtlich auch nicht ganz unkompliziert.

In 2015 erfolgte dann schließlich die Anklageerhebung. Meinem Mandanten wurden immerhin 53 Straftaten vorgeworfen (gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung im Amt).

Die Verhandlung über die angeklagten Taten konnte aufgrund eines Umzuges meines Mandanten in das nicht-europäische Ausland erst jetzt im Jahr 2019 stattfinden. Einige Zeugen wurden befragt. Von Dutzenden weiteren Zeugen konnten die früheren Aussagen in der Hauptverhandlung verlesen werden. Von den Anklagepunkten übrig geblieben ist in strafrechtlicher Hinsicht … nichts. Festzustellen war allein ein Verhalten meines Mandanten, welches arbeitsrechtlich zu beanstanden war, indes keine strafrechtliche Relevanz hatte. Der Mandant wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ob den Anonymus nach all den Jahren überhaupt noch interessiert wie lange er die Justiz mit seiner Strafanzeige aus dem Jahr 2012 beschäftigt gehalten hat?

RA Müller

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Kurz und bündig: Freispruch nach angeblichem „Handyverstoß“

Februar 19, 2018

Dem Mandanten wurde vorgeworfen, am Steuer eines Kfz ein Mobiltelefon benutzt zu haben und hierdurch den Bußgeldtatbestand des § 23 Abs.1a StVO verwirklicht zu haben. In der schriftlichen Einlassung gegenüber der Bußgeldstelle wies ich für meinen Mandanten darauf hin, daß mein Mandant zwar kurzzeitig ein Mobiltelefon in der Hand gehalten hatte, der Tatbestand hierdurch indes nicht verwirklich worden war. Das Gesetz stellt nämlich auf ein „Benutzen“ des Gerätes ab, welches vorliegend nach Mitteilung meines Mandanten nicht vorgelegen hatte. Zwar wird der Begriff des Benutzens sehr weit ausgelegt, so daß bereits das Ablesen der Uhrzeit oder das Abweisen eines Anrufs hierunter gefaßt wird. Ein bloßes Aufnehmen des Gerätes, um es andernorts im Fahrzeug abzulegen, fällt indes nicht hierunter.

Die Bußgeldstelle forderte daraufhin die beiden Polizeibeamten, welche den (vermeintlichen) Verstoß notiert hatten, zu einer ergänzenden Stellungnahme zu diesem Vortrag auf. Beide konnten die Darstellung des Mandanten nicht widerlegen. Sie hätten gesehen, daß mein Mandant das Mobiltelefon in der Hand gehabt habe. Zur Dauer dieses Vorgangs konnten sie keine näheren Angaben tätigen. Auch konnten sie nicht sagen, ob er das Gerät – und sei es auch nur zum Ablesen der Uhrzeit – benutzt hatte.

Wer jetzt erwartet, daß das Verfahren damit sang- und klanglos eingestellt wird, der wird enttäuscht:

Die Bußgeldstelle übersandte mir die Stellungnahme der Polizeibeamten und behauptete, daß mein Mandant durch die polizeilichen Wahrnehmungen überführt worden sei. Ich möge erwägen, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückzunehmen.

Als ich dem als engstirniger Verteidiger so gar nicht folgen wollte, gab die Behörde den Vorgang an das zuständige Amtsgericht ab.

Von dort erhielt ich nun für meinen Mandanten auf direktem Wege den Freispruch, ohne daß ein Gerichtstermin stattgefunden hatte oder man mir bis dahin auch nur das gerichtliche Aktenzeichen mitgeteilt hatte. So kann ein Bußgeldrichter nach § 72 Abs.1 OWiG auch ohne Hauptverhandlung durch Beschluß entscheiden, wenn er eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und die Staatanwaltschaft sowie der Betroffene zustimmen. Will der Richter den Betroffenen freisprechen, so bedarf es der Zustimmung des Betroffenen nicht.

So kam mein Mandant zeitnah und ohne Hauptverhandlung zu seinem Freispruch. Die Kosten des engstirnigen Verteidigers trägt die Staatskasse   🙂

RA Müller

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Einen Freispruch und einen Döner bitte

Dezember 4, 2017

Bei meinem Mandanten handelte es sich um einen von vier Angeklagten in einem Verfahren, in dem allen Beteiligten für den Fall einer Verurteilung eine mehrjährige Freiheitsstrafe drohte.

Es wurden mehrere Zeugen angehört. Die Beweisaufnahme lief günstig.

Mitten in der Vernehmung einer Zeugin beugte sich mein Mandant zu mir herüber und flüsterte mir zu, daß er Hunger habe. Er hätte gerne einen Döner.

Ich gab meinem Mandanten zu verstehen, daß ich möglicherweise der gerichtlichen Zeugenbefragung lauschen sollte, um mir Notizen zu machen und dann gleich selbst Fragen an den Zeugen zu richten. Angesichts der bedrohlichen Anklage sollte das Hungergefühl etwas zurückstehen können, zumal wir auch erst ca. zwei Stunden verhandelt hatten, mein Mandant aus der Haft vorgeführt worden war und durchaus ein Frühstück genossen erhalten hatte.

Meinem Mandanten ließ der Gedanke an den ersehnten Döner indes keine Ruhe. Er werde sicherlich erst spät wieder zurück in der JVA sein. Mittagessen gebe es dann nicht mehr und die JVA habe ihm als Wegzehrung nur Brot eingepackt. Er habe sich aber auf einen leckeren Döner gefreut und ein Justizbeamter habe ihm gesagt, daß sein Verteidiger ihm den sicherlich organisieren könne.

Kurz zur Klarstellung:

Ich bin kein Essenslieferant sondern Strafverteidiger. Als solcher habe ich dem Mandanten in der Sache einen Freispruch liefern können, der über den entgangenen Döner hinwegtrösten dürfte. Ist es nicht ohnehin viel schöner, wenn man sich seinen Döner wieder selbst kaufen kann?

RA Müller

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Der Angeklagte ist verdächtig … ja warum eigentlich?

November 23, 2017

Es kommt gelegentlich vor, daß sich ein Angeklagter fragt, wie es passieren konnte, daß er auf der Anklagebank gelandet ist. Ebenfalls nicht selten kommt es vor, daß ein Strafverteidiger ein gewisses Maß an Empörung darüber zum Ausdruck bringt, daß gegen seinen Mandanten angesichts der eher schwachen Beweislage überhaupt Anklage erhoben worden ist. Ich war nun allerdings zum ersten Mal an einem Strafverfahren beteiligt, in dem keiner der Verfahrensbeteiligten zu sagen vermochte, worauf sich der Tatverdacht gegen einen der vier Angeklagten stützte.

Angezeigt worden war eine schwere räuberische Erpressung, wobei die Tat unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges begangen worden sein sollte. Zur Einordnung: Bei einer solchen Straftat sieht das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vor. Da kann bei einem Angeklagten schon eine gewisses Maß an Sorge auftreten, wenn er sich mit einem solchen Tatvorwurf konfrontiert sieht.

Der Anzeigeerstatter und eine Zeugin hatten von vier Tätern berichtet, zu einem dieser Täter indes nicht viel mehr als dessen Staatsangehörigkeit angeben können. Den Täter habe man vor dem Tattag noch nie gesehen. Wie die Zeugen überhaupt auf die Staatsangehörigkeit schließen konnten, ergibt sich aus der Ermittlungsakte nicht. Dies hat die Polizei die Zeugen nicht gefragt. Angaben der Zeugen, anhand derer man den vierten Täter hätte identifizieren können, gab es nicht. In der Akte folgten dann Angaben zu einer Telefonüberwachung. Den derart abgehörten Gesprächen ließ sich indes ebenfalls nur der Hinweis auf die Staatsangehörigkeit des vierten Täters entnehmen.

Auf der Anklagebank saß nun ein Angeklagter mit eben dieser Staatsangehörigkeit.

Die Verknüpfung zwischen der dürftigen Aktenlage und der Person auf der Anklagebank wurde durch einen polizeilichen Ermittlungsbericht hergestellt: Darin wurde der Name des späteren Angeklagten genannt. Mit keiner Silbe wurde erwähnt, wie man auf den Gedanken gekommen war, daß es sich bei dieser Person um einen der Täter handelte. Gerüchten zufolge gibt es noch mehr Personen mit dieser Staatsangehörigkeit. Es soll ein ganzes Land davon geben.

Da die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte, müßte man dort angenommen haben, es bestünde die „überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung“ auch dieses Angeklagten. Woraus der Tatverdacht sich ergeben sollte, erläuterte die Anklageschrift nicht.

Das Gericht hatte die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, damit also seinerseits die „überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung“ bejaht.

In der Hauptverhandlung wurde nun jener Sachbearbeiter der Polizei angehört, welcher den Vermerk seinerzeit verfaßt hatte. Er bekundete, daß er von einem Kollegen die Anweisung erhalten habe, den Täter, von dem die Zeugen die (angebliche) Staatsangehörigkeit benannt hatten, mit dem sodann eingetragenen Namen zu bezeichnen. Wie der Kollege seinerzeit darauf gekommen sei, sei ihm allerdings nicht bekannt. Er kenne keine Aktenbestandteile, die zu diesem Schluß führten. Auch seine ebenfalls in der Hauptverhandlung vernommene Kollegin konnte hierzu keine Erkenntnisse beisteuern. Selbst der Vertreterin der Staatsanwaltschaft war nicht bekannt, woraus sich der konkrete Tatverdacht gegen diesen Angeklagten ergeben sollte.

Im Ergebnis sind neben diesem Angeklagten auch die drei anderen Angeklagten freigesprochen worden. Mag man trotz einer ausgesprochen dürftigen Aktenlage gerade noch verstehen, daß gegen die anderen drei Personen Anklage erhoben worden ist. Im Hinblick auf den vierten Angeklagten ist dies indes schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Entschuldigt hat sich bei dem Angeklagten niemand.

RA Müller

 

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Wie die Polizei NICHT vernehmen sollte

Juni 30, 2017

Dem späteren Mandanten wurden Fahren ohne Fahrerlaubnis und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vorgeworfen. Er ging zunächst davon aus, sich selbst verteidigen zu können. Nach den ersten beiden Hauptverhandlungsterminen wurde ihm dann indes derart mulmig zumute, daß er es doch vorzog, sich im weiteren Verfahren eines Verteidigers zu bedienen. In dieser Funktion stellte ich im Rahmen der Akteneinsicht fest, daß ein Zeuge meinen Mandanten bei der Polizei zunächst entlastet hatte, um seine Aussage dann zu ändern und meinen Mandanten zu belasten.

So hatte er zunächst ausgesagt, er selbst und nicht etwa der Angeklagte habe das dem Zeugen gehörende Fahrzeug geführt und sei damit von der Straße abgekommen.

Diese Aussage paßte ersichtlich nicht zur Arbeitshypothese der Polizei. Einem polizeilichen Vermerk läßt sich entnehmen, daß der Zeuge „vor seiner Vernehmung“ als Beschuldigter belehrt wurde, da er auf seinen Angaben beharrte.

Der Zeuge blieb auch nach der Belehrung bei seiner Aussage. Die ihn vernehmende Polizeibeamtin wies ihn daher noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß er sich wegen Falschaussage strafbar mache, wenn er in der polizeilichen Vernehmung unwahre Angaben tätige.

Der Zeuge dürfte nun doch etwas verunsichert gewesen sein. Er blieb indes auch weiterhin bei seinen Angaben.

Die Vernehmungsbeamtin setzte daher noch einen drauf. Wenn die Angaben des Zeugen stimmen würden, hätte er sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht.

Auch dies führte zu keiner Umkehr des Zeugen/Beschuldigten, so daß die Vernehmungsbeamtin ihn schließlich noch auf die „versicherungstechnischen Konsequenzen“ des von ihm geschilderten Handelns hinwies.

Einige Zeit später widerrief der derart Befragte seine Aussage und gab nun an, daß mein Mandant das Kfz geführt habe. Bingo! Jetzt paßte die Aussage zur Arbeitshypothese der Polizei. Auch die Anklage stützte sich in der Folge maßgeblich auf die korrigierte Zeugenaussage.

Doch gehen wir das von der Polizei eröffnete Bedrohungsszenario der Reihe nach durch:

  • Falschaussage: Die uneidliche Falschaussage wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bestraft, § 153 StGB. Voraussetzung der Strafbarkeit ist indes, daß die Aussage vor Gericht oder einer zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständigen Stelle getätigt wird. Die Polizei ist zur eidlichen Vernehmung von Zeugen nicht befugt, so daß bei unwahren Angaben in einer polizeilichen Vernehmung eine Strafbarkeit wegen Falschaussage ausgeschlossen ist. (In Betracht käme allenfalls eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung, § 258 StGB).
  • Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort: Ein Unfall liegt nur dann vor, wenn ein mehr als nur belangloser Fremdschaden eingetreten ist. Wenn die Angaben des Zeugen der Wahrheit entsprachen, so hatte er sein eigenes Kfz in den Graben gesetzt. Der Kfz-Schaden war damit für die Frage der Strafbarkeit unbeachtlich. Von einem weiteren Schaden war in der gesamten Strafakte keine Rede. Eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort dürfte daher gar nicht im Raum gestanden haben.
  • Versicherungstechnische Konsequenzen: Leider hat die Polizei es offengelassen, in dem Vermerk zu erwähnen, welche bösen versicherungstechnischen Konsequenzen dem Zeugen drohten, wenn er bei seiner Aussage blieb. Da ein Fremdschaden nicht ersichtlich war, könnte auch lediglich die Kaskoregulierung, also die Regulierung des Schadens am eigenen Kfz,

Die Vernehmungstechnik darf man – ausgesprochen zurückhaltend – als befremdlich bezeichnen, scheint aber bis zur Beauftragung eines Verteidigers keinen der beteiligten Juristen gestört zu haben.

Man mag nun trefflich darüber streiten, ob der Mandant überhaupt angeklagt worden wäre, wenn ein Verteidiger auf diesen und andere Gesichtspunkte bereits im Laufe des Ermittlungsverfahrens hingewiesen hätte. In dem dritten Hauptverhandlungstermin, an dem er sich endlich verteidigen ließ, wurde er jedenfalls freigesprochen.

RA Müller

 

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Vorweihnachtliche Einhelligkeit

Dezember 17, 2015

In erster Instanz war mein Mandant zu einer Hafstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Für meinen Mandanten hatte ich daher auftragsgemäß Berufung eingelegt und nun fand die Berufungsverhandlung statt.

Nach kurzer Verhandlung wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Als Berufungsführer mußte ich zuerst plädieren. Die Beweisaufnahme hatte den Anklagevorwurf nicht bestätigen können und so beantragte ich mit wenig Worten, meinen Mandanten freizusprechen.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft teilte kurz und bündig mit: „Die Staatanwaltschaft schließt sich den Worten des Verteidigers an.“

Dem Vertreter der Nebenklage kam es möglicherweise sonderbar vor, sich nun ebenfalls meinen Worten anzuschließen, so daß er wie folgt formulierte: „Ich schließe mich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an.“

Nachdem dann auch das Gericht kurz und knapp einen Freispruch verkündete, war die Last dieses Verfahrens noch rechtzeitig vor Weihnachten von den Schultern meines Mandanten genommen worden.

RA Müller

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Mit Kanonen auf unschuldige Spatzen geschossen

November 2, 2015

Meiner nicht vorbestraften Mandantin wurde aus einer beendeten Beziehungsgeschichte heraus eine vergleichsweise bagatellhafte Straftat angelastet. Im Rahmen einer Auseinandersetzung, deren Beginn streitig war, waren wohl beide Beteiligten leicht verletzt worden.

Die Beweislage war eher dürftig. Die Aussagen meiner Mandantin und des Gegners widersprachen sich. Ein Zeuge aus dem „Lager“ des Gegners schien dessen Vortrag zu stützen. In seiner Aussage klafften allerdings beachtliche Lücken. In einem anderen Verfahren hatte der Gegner selbst den Vorfall zudem abweichend geschildert. Letztlich wies der Gegner im Laufe des Strafverfahrens darauf hin,  ausdrücklich keinen Strafantrag gegen meine Mandantin zu stellen.

Zunächst wurde von der Staatsanwaltschaft ein sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich angeregt, an dem der Gegner allerdings nicht teilnehmen wollte. Er ließ aber mitteilen, weiterhin nicht an einer strafrechtlichen Verfolgung interessiert zu sein.

Nun setzt die einfache Körperverletzung nach § 230 StGB einen Strafantrag oder die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft voraus. Ein Strafantrag lag nicht vor. Es handelte sich um ein Geschehen aus einer beendeten Beziehung heraus, das nur die beiden Beteiligten betraf, die zudem noch auf anderer Ebene miteinander würden umgehen müssen, so daß es für alle Beteiligten gut gewesen wäre, das Geschehen hinter sich zu lassen und nicht durch gegenseitige Vorwürfe aufzupeitschen.

Gleichwohl beschloß die Staatsanwaltschaft:

Ja, DAS ist ein Fall, in dem das besondere öffentliche Interesse die Strafverfolgung gebietet!

Begründen muß die Staatsanwaltschaft diese allein ihr obliegende Entscheidung nicht, so daß auch in anderen, aus meiner Sicht völlig unsinnigen Fällen (siehe etwa den Beitrag hier oder hier) das besondere öffentliche Interesse bejaht wurde.

Meine Mandantin setzte sich gegen den Tatvorwurf zur Wehr und wurde in der Hauptverhandlung nun freigesprochen. Das gesamte Verfahren hatte sie indes so sehr belastet, daß sie nach dem Freispruch in Tränen der Erleichterung ausbrach.

Für den zuständigen Staatsanwalt mag ein solches Verfahren eine Bagatelle gewesen sein. Man sollte sich indes vor Augen führen, daß dies für den Betroffenen unabhängig vom drohenden Strafmaß ganz anders aussehen kann. Sachverhalte wie den vorliegenden durch die für mich nicht nachvollziehbare Annahme des besonderen öffentlichen Interesses gegen den Willen aller Betroffenen vor Gericht zu zerren, sollte einer sorgfältigen Begründung bedürfen. Bisweilen kann man sich indes des Eindrucks nicht erwehren, daß bei Verfahren, die sich als besonders komplex und arbeitsintensiv darstellen, eine Einstellung sehr viel eher erfolgt als bei bagatellhaften Verfahren, in denen sich eine Anklageschrift ohne weiteres aus dem Ärmel schütteln läßt.

RA Müller

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Scheuklappenmentalität: Belastungszeugen lügen nicht

Oktober 23, 2014

Vor geraumer Zeit hatte ich bereits darüber berichtet, daß man als Verteidiger mit einer gewissen Regelmäßigkeit in Anklageschriften lesen darf, daß den Angaben des (einzigen) Belastungszeugen Glauben zu schenken sei. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Zeuge die Unwahrheit sagen sollte.

Den entgegenstehenden Angaben des Beschuldigten wird – natürlich – nicht gefolgt. Es handele sich um reine Schutzbehauptungen. Aus der Tatsache, daß der Beschuldigte lügen darf, wird häufig gefolgert, daß er auch tatsächlich die Unwahrheit sagt.

Besonders befremdlich war die Situation in einem vor einiger Zeit verhandelten Verfahren. In diesem Verfahren hatte kein unbeteiligter Tatzeuge die angebliche Tathandlung wahrgenommen. Den Ablauf der angeblichen Tathandlung hatte die Anzeigeerstatterin zudem mal auf die eine Weise, mal auf die andere Weise geschildert. Widersprüche fanden sich zuhauf. Zugunsten des Angeklagten war das Geschehen, welches sich unmittelbar vor der angeblichen Tat abgespielt haben sollte, von einer Videokamera aufgezeichnet worden. Die Aufzeichnung belegte, daß die zum Nachteil des Beschuldigten erfolgten Angaben zu einem erheblichen Teil schlichtweg unwahr waren.

Gleichwohl erhob die Staatsanwaltschaft Anklage, das Gericht ließ die Anklage zu und in dem Plädoyer des Staatsanwalts begegnete mir wieder der verhängnisvolle Satz, daß kein Grund ersichtlich sei, warum die Anzeigeerstatterin die Unwahrheit gesagt haben sollte. Es folgte der Antrag, den Angeklagten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu verurteilen.

Da ist man fassungslos. Gab es etwa einen nachvollziehbaren Grund, weshalb die Anzeigeerstatterin das Tatgeschehen stets wechselnd geschildert hatte? Gab es einen Grund, weshalb die Anzeigeerstatterin den Angeklagten ausweislich der Videoaufzeichnung wahrheitswidrig belastet hat?

Letztlich erging zugunsten meines Mandanten der aus meiner Sicht zwingende Freispruch. Gleichwohl muß man sich die Frage stellen dürfen, ob es auch einen Freispruch gegeben hätte, wenn sich nicht durch die Videoaufzeichnung hätte nachweisen lassen, daß die Anzeigeerstatterin in vielerlei Hinsicht die Unwahrheit geäußert hatte. Möglicherweise hätte dann auch das Gericht darauf verwiesen, daß kein Grund ersichtlich sei, weshalb die Anzeigeerstatterin die Unwahrheit gesagt haben sollte.

Eigentlich sollten solche Fälle den beteiligten Juristen zu denken geben, schließlich hat ein Beschuldigter nur selten das Glück, daß entsprechende Videoaufzeichnungen vorliegen. Allein die Tatsache, daß ein Grund für unwahre Angaben nicht ersichtlich ist, bedeutet dabei gerade nicht, daß ein solcher Grund nicht existiert.

RA Müller