Posts Tagged ‘Rechtsanwalt Joachim Müller Aurich’

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Verbotene Flagge

September 25, 2020

§ 86a StGB betrifft die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Strafbar macht sich danach unter anderem derjenige, der solche Kennzeichen „öffentlich“ verwendet. Die Strafnorm dient dem Schutz des politischen Friedens, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der Völkerverständigung und des Ansehens Deutschlands im Ausland. Es soll bereits dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgrund der Präsenz solcher Symbolik auch nur geduldet werden.

Bei meiner Mandantin hatte nun eine Hausdurchsuchung stattgefunden. An der Wohnzimmerwand hatte die Polizei in diesem Zuge eine Flagge mit entsprechenden Symbolen festgestellt. Daraufhin begab sich einer der Polizeibeamten nach draußen, blickte durch das Wohnzimmerfenster in die Wohnung und fertigte einen Vermerk, wonach man durch das Fenster ohne Schwierigkeiten die Flagge an der Wand sehen konnte. Hiervon wurde auch ein Lichtbild gefertigt.

In der Folge wurde gegen meine Mandantin ein gesondertes Strafverfahren wegen des angenommenen Verstoßes gegen § 86a StGB eingeleitet und Anklage erhoben. Mit der Anklageschrift suchte mich die Mandantin auf.

Das tatbestandsmäßige „öffentliche Verwenden“ setzt die Möglichkeit voraus, daß das Kennzeichen von einem größeren, nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann. Nicht erforderlich ist, daß Personen das Kennzeichen auch tatsächlich bereits wahrgenommen haben. Der BGH hat hierzu etwa einen Fall entschieden, in dem ein älterer Mann, der spätere Angeklagte, eine Wohnung gemietet hatte. In dem Haus lebten noch zwei weitere Mietparteien. Im Streit mit seinen Nachbarn und der Vermieterin malte der Angeklagte im Treppenhaus ein Hakenkreuz an die Wand. Angesichts der persönlichen Beziehung des Angeklagten zu den Nachbarn und der Vermieterin lag nach der Entscheidung des BGH gerade keine „öffentliche“ Verwendung im Sinne von § 86a StGB vor.

In dem Fall meiner Mandantin könnte man nun daran denken, daß Passanten bei einem Blick durch das Wohnzimmerfenster die Flagge wahrnehmen konnten.

Die Polizei hatte in der Akte allerdings nicht geschildert, wo das Wohnzimmerfenster lag. Auf dem Weg dorthin hatte der Polizeibeamte nämlich um das Haus herumgehen und hierbei eine geschlossene Pforte öffnen müssen. Sodann hatte die Polizei zwar den Blick durch das Fenster IN die Wohnung dokumentiert, nicht hingegen den Blick AUS dem Wohnzimmerfenster nach draußen. Andernfalls hätte man nämlich erkennen können, daß sich der Blick auf einen kleinen Gartenbereich und dahinter auf eine hohe Hecke richtete. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, daß sich möglicherweise je nach Winkel ein Blick durch die Hecke erhaschen lasen könnte, so würde man feststellen müssen, daß sich hinter der Hecke eine Kuhweide befand.

Um es kurz zu machen: In der Hauptverhandlung ist meine Mandantin freigesprochen worden.

RA Müller

 

 

 

 

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Pack die Zahnbürste ein

Juli 13, 2019

… und dann war da noch der Mandant, mit dem ich auf dem Flur des Gerichts auf den Aufruf seiner Strafsache wartete. Recht aufgeregt berichtete er mir, daß er vorsorglich ein belegtes Brot und einen Rasierapparat mit zum Gericht genommen habe.

Für das Brot konnte ich ja noch Verständnis aufbringen. Wer weiß schon, wie lange man auf Gerichtsfluren warten darf. Gerade in Strafsachen ist die Dauer der Hauptverhandlung nicht immer einfach einzuschätzen. Es kommen viele Unwägbarkeiten zusammen. Wird der Angeklagte eine Einlassung abgeben? Werden alle Zeugen überhaupt erscheinen? Wie intensiv wird der Verteidiger von seinem Fragerecht Gebrauch machen? Werden eventuell sogar wider Erwarten noch Zeugen mitgebracht? Oder werden Beweisanträge gestellt? Da kommt es eben gelegentlich auch mal zu erheblichen Verzögerungen.

Ich konnte mir allerdings nicht erklären, welchem Zweck der vom Mandanten mitgebrachte Rasierapparat dienen sollte. Was erwartete mein Mandant denn, wie lange seine Verhandlung dauern würde?

Mit sorgenvollem Blick klärte mein Mandant mich auf, daß er vorbereitet sein wolle, wenn das Gericht ihn heute gleich einkassiere und er in Haft gehen müsse.

Meine bereits im Rahmen der Erörterung der Ermittlungsakte erfolgten Hinweise an meinen Mandanten, daß ihm in der Sache nicht viel passieren könne und es vermutlich nicht einmal zu einer Verurteilung kommen werde, im schlimmsten Fall aber eine übersichtliche Geldstrafe im Raum stünde, waren ersichtlich nicht zu ihm durchgedrungen. Ein aus Sicht des Verteidigers „kleines“ Straferfahren kann für den Angeklagten eine enorme Belastung darstellen. Es tut allen Verfahrensbeteiligten gut, sich dies gelegentlich vor Augen zu führen.

Das gegen meinen Mandanten geführte Strafverfahren ist dann übrigens nach kurzer Verhandlung nach § 153 StPO eingestellt worden.

RA Müller

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Ein ungewöhnlicher Verfahrensablauf und der Wert von Strafverteidigung

Februar 9, 2017

Herr X wurde angeklagt, gemeinsam mit Frau Y eine Straftat begangen zu haben. Herr X gab zwar zu, daß er sich einige Zeit vor der Tat am späteren Tatort aufgehalten hatte, sich allerdings bereits zu einem Zeitpunkt entfernt hatte, als die Tatbegehung noch gar nicht im Raum gestanden hatte. Frau Y bestätigte dies und gab an, eine dritte Person habe ihr bei der Tatausführung geholfen. Deren Namen wollte sie indes partout nicht preisgeben.

Es wurde nun zunächst Frau Y angeklagt und verurteilt.

Anschließend wurde Herr X angeklagt. Frau Y, deren Verurteilung rechtskräftig geworden war, wurde als Zeugin herangezogen. Herr X blieb dabei, daß er die Tat nicht begangen hatte. Auch Frau Y blieb als Zeugin dabei, daß ihr eine andere Person geholfen hatte. Das Gericht schenkte beiden keinen Glauben und war fest davon überzeugt, daß der vorbestrafte Herr X die Tat gemeinsam mit ihr begangen hatte. Entsprechend wurde Herr X zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Über seinen Verteidiger legte er Berufung gegen das Urteil ein. In der Berufungsverhandlung überlegte Herr X fieberhaft, wer denn wohl der Helfer von Frau Y gewesen sein könnte. Diese Person würde ihn schließlich entlasten können. „War es etwa der Z?“ fuhr er Frau Y an. Frau Y bestätigte, daß die Vermutung zutreffend war.

Zum nächsten Termin wurde nun der Z geladen. Herr X machte sich Sorgen, daß der Z nicht erscheinen oder die Aussage verweigern würde und rief ihn vorher noch an. Er teilte ihm mit, daß er ihn unbedingt als Zeugen benötigen würde. Er würde ihn auch gelegentlich zum Grillen einladen.

Nach diesem Telefonat meldete sich Frau Y bei Herrn X und berichtete kleinlaut, daß der Z gar nicht der gesuchte Mittäter sei. Eigentlich habe ihr damals ein guter Freund (F) geholfen. Sofort informierte Herr X seinen Verteidiger, der dann auch einen Beweisantrag vorbereitete, um F als Zeugen laden zu lassen. Den Beweisantrag wies das Gericht zurück. Es mangele dem Beweisantrag an der erforderlichen Konnexität. Zunächst sei der Z benannt worden. Dieser sei es nicht gewesen. Nun solle es plötzlich der F gewesen sein, ohne daß dargelegt worden sein, wie Herr X auf den F gekommen sei.

Es wäre nun Sache des damaligen Verteidigers gewesen, den Beweisantrag nachzubessern und dem Gericht ausführlich darzustellen, wie und wann die Frau Y endlich mit der Sprache rausgerückt war. Dies erfolgte leider nicht, so daß die Berufung des Herrn X zurückgewiesen wurde.

Die verhängte Freiheitsstrafe hatte zur Folge, daß eine laufende Bewährung widerrufen wurde, so daß Herr X längere Zeit im Gefängnis verbringen durfte.

Als er – mit deutlich erschüttertem Vertrauen in den Rechtsstaat – schließlich entlassen wurde, wartete schon das nächste Strafverfahren auf ihn. Die Staatsanwaltschaft hatte beschlossen, ihn wegen versuchter Anstiftung zur Falschaussage (§ 159 StGB) sowie wegen Verleitung zur Falschaussage (§ 160 StGB) anzuklagen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war das nur konsequent. Wenn Herr X – wie rechtskräftig festgestellt – die Tat selbst begangen hatte, so war es mehr als bedenklich, den Z zur Zeugenaussage in der Hauptverhandlung zu bewegen und zuvor Frau Y den Namen dieses Zeugen („War es etwa der Z?„) vorzugeben.

Mit dem vorherigen Verteidiger nach der niederschmetternden Niederlage auf Kriegsfuß stehend beauftragte mich Herr X kurzfristig mit seiner Verteidigung in dem neuen Strafverfahren. Eigentlich wollte das Gericht „kurzen Prozeß“ machen. Jedenfalls war nur ein einziger Zeuge zu der Hauptverhandlung geladen worden. Insbesondere hatte man kein Interesse daran, die Umstände der bereits rechtskräftig festgestellten Vortat erneut zu überprüfen. Ich beantragte gleichwohl die Vernehmung verschiedener weiterer Zeugen und überzeugte das Gericht, sich diesem Komplex noch einmal zu nähern. So vertagten wir uns schließlich. In dem dann anberaumten Folgetermin ist nun zur Überzeugung des Gerichts festgestellt worden, daß Herr X die Tat – wie er von Beginn an behauptet hatte – tatsächlich nicht begangen hatte. Es erging ein Freispruch.

Ich hoffe, daß Herr X ein wenig Vertrauen in den Rechtsstaat (und in den Wert einer professionellen Strafverteidigung) zurückgewonnen hat.

RA Müller

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Ein ganzer Blumenstrauß an Vorwürfen – Verfahren eingestellt

März 9, 2016

Vier Mandanten wurde ein ganzer Blumenstrauß an strafrechtlichen Vorwürfen unterbreitet. Die Palatte reichte von Körperverletzung über Nötigung bis hin zu Freiheitsberaubung. So reiste ich dann also mit meinen drei Kollegen – man mag es fast als Betriebsausflug begreifen – zu dem Amtsgericht, bei dem die Hauptverhandlung anstand.

In der Akte las sich das Geschehen tatsächlich relativ dramatisch. Eine Geschädigte habe so viel Angst gehabt, daß sie sich nach dem Vorfall mehrfach habe übergeben müssen und im Dunkeln ausgeharrt habe, ob die Angeklagten zurückkämen. Zuvor sei sie unter Gewaltanwendung aufgefordert worden, eine Anschrift herauszugeben. Eine andere Zeugin bekundete, daß die Angeklagten quasi ihre Wohnung gestürmt und sie später darin eingesperrt hatten.

Die Mandanten hatten die Situation gänzlich abweichend geschildert, wobei die sie belastenden Aussagen zudem einige Ungereimtheiten aufwiesen.

Die erste Zeugin, eine durchaus resolute Dame, berichtete, daß der Vorfall gar nicht so schlimm gewesen sei. Nein, sie habe sich nicht übergeben müssen. Sie sei auch nicht bedroht worden, die Adresse zu nennen. Die Adresse habe sie freiwillig genannt. Richtig laut seien drei der Angeklagten allerdings gewesen, wobei sie sich hierfür im Gehen allerdings noch entschuldigt hatten. Sie habe die Angeklagten noch zur Haustür des Mehrfamilienhauses begleitet. Das gehöre sich schließlich so. Sie habe keinen Grund gesehen, die Polizei zu verständigen. Später habe sie sich dann doch noch an die Polizei gewandt, wobei sie hierzu allerdings durch einen Dritten – passenderweise einen Konkurrenten meines Mandanten – gedrängt worden sei.

Eine weitere Zeugin relativierte den Tatvorwurf ebenfalls. Auch ihr sei die angeblich völlig verängstigte Dame nicht verängstigt vorgekommen. Diese habe die Lage durchaus „im Griff“ gehabt. Einen Grund, die Polizei zu verständigen, habe sie nicht gesehen.

Die dritte, angeblich kurzfristig der Freiheit beraubte Zeugin erschien lieber gar nicht erst bei Gericht. Dies könnte damit zusammenhängen, daß sich aus der Akte der naheliegende Vorwurf ergab, daß sie meinen Mandanten bestohlen hatte. Der meinem Mandanten entwendete Wertgegenstand wurde jedenfalls bei ihr gefunden, nachdem sie zuvor geleugnet hatte, daß er sich bei ihr befand.

Bei dieser Sachlage erschien es allen Verfahrensbeteiligten zur Vermeidung eines andernfalls erforderlichen Fortsetzungstermins als sachdienlich, das Verfahren auf Kosten der Staatskasse einzustellen, die auch die den ANgeklagten entstandenen Verteidigerkosten trägt.

RA Müller

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Hohe Hürden

Januar 5, 2015

Der Mandant sollte seinen Führerschein abgeben, hatte diesen indes bereits vor geraumer Zeit verloren. In diesen Fällen hat der Betroffene der zuständigen Behörde an Eides Statt zu versichern, den Führerschein verloren zu haben. Entsprechend begab sich mein Mandant zum Straßenverkehrsamt und bekundete, eine solche Versicherung an Eides Statt abgeben zu wollen.

Zu seiner Überraschung schickte ihn die dortige Sachbearbeiterin nach Rücksprache mit ihren Kollegen weg. Eine bloße Versicherung an Eides Statt sei nicht ausreichend. Die Erklärung müsse „notariell beglaubigt“ werden.

Entsprechend  konsterniert suchte mein Mandant mich auf und erkundigte sich, ob er tatsächlich einen Notar hinzuziehen müsse. Ich griff zum Telefonhörer und rief die Sachbearbeiterin der Behörde an, die auch mir erläuterte, daß es einer notariell beurkundeten Erklärung bedürfe. Auf meine Nachfrage, aus welcher Vorschrift dies folge, teilte sie mir mit, daß ihr dies nicht bekannt sei. Es sei aber nun einmal so. Auf weiteres Insistieren verband sie mich mit einem ihrer Kollegen.

Dieser teilte mir mit, daß die Behörde „seit Jahren“ so verfahre und in diesen Fällen eine notarielle Beglaubigung verlange. Man habe die Erfahrung gemacht, daß sich auf diese Anforderung hin doch noch der eine oder andere Führerschein wieder auffinden lasse. Ich hätte aber wohl Recht damit, daß diese Anforderung sich dem Gesetz nicht entnehmen läßt. Ja, es sei ausreichend, wenn mein Mandant der Behörde an Versicherung an Eides Statt vorlege.

RA Müller

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Scheuklappenmentalität: Belastungszeugen lügen nicht

Oktober 23, 2014

Vor geraumer Zeit hatte ich bereits darüber berichtet, daß man als Verteidiger mit einer gewissen Regelmäßigkeit in Anklageschriften lesen darf, daß den Angaben des (einzigen) Belastungszeugen Glauben zu schenken sei. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Zeuge die Unwahrheit sagen sollte.

Den entgegenstehenden Angaben des Beschuldigten wird – natürlich – nicht gefolgt. Es handele sich um reine Schutzbehauptungen. Aus der Tatsache, daß der Beschuldigte lügen darf, wird häufig gefolgert, daß er auch tatsächlich die Unwahrheit sagt.

Besonders befremdlich war die Situation in einem vor einiger Zeit verhandelten Verfahren. In diesem Verfahren hatte kein unbeteiligter Tatzeuge die angebliche Tathandlung wahrgenommen. Den Ablauf der angeblichen Tathandlung hatte die Anzeigeerstatterin zudem mal auf die eine Weise, mal auf die andere Weise geschildert. Widersprüche fanden sich zuhauf. Zugunsten des Angeklagten war das Geschehen, welches sich unmittelbar vor der angeblichen Tat abgespielt haben sollte, von einer Videokamera aufgezeichnet worden. Die Aufzeichnung belegte, daß die zum Nachteil des Beschuldigten erfolgten Angaben zu einem erheblichen Teil schlichtweg unwahr waren.

Gleichwohl erhob die Staatsanwaltschaft Anklage, das Gericht ließ die Anklage zu und in dem Plädoyer des Staatsanwalts begegnete mir wieder der verhängnisvolle Satz, daß kein Grund ersichtlich sei, warum die Anzeigeerstatterin die Unwahrheit gesagt haben sollte. Es folgte der Antrag, den Angeklagten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu verurteilen.

Da ist man fassungslos. Gab es etwa einen nachvollziehbaren Grund, weshalb die Anzeigeerstatterin das Tatgeschehen stets wechselnd geschildert hatte? Gab es einen Grund, weshalb die Anzeigeerstatterin den Angeklagten ausweislich der Videoaufzeichnung wahrheitswidrig belastet hat?

Letztlich erging zugunsten meines Mandanten der aus meiner Sicht zwingende Freispruch. Gleichwohl muß man sich die Frage stellen dürfen, ob es auch einen Freispruch gegeben hätte, wenn sich nicht durch die Videoaufzeichnung hätte nachweisen lassen, daß die Anzeigeerstatterin in vielerlei Hinsicht die Unwahrheit geäußert hatte. Möglicherweise hätte dann auch das Gericht darauf verwiesen, daß kein Grund ersichtlich sei, weshalb die Anzeigeerstatterin die Unwahrheit gesagt haben sollte.

Eigentlich sollten solche Fälle den beteiligten Juristen zu denken geben, schließlich hat ein Beschuldigter nur selten das Glück, daß entsprechende Videoaufzeichnungen vorliegen. Allein die Tatsache, daß ein Grund für unwahre Angaben nicht ersichtlich ist, bedeutet dabei gerade nicht, daß ein solcher Grund nicht existiert.

RA Müller

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Ein „Haftvorschlag“

September 22, 2014

Die Polizei wollte, daß gegen den Beschuldigten ein Haftbefehl erlassen wird. Daher unterbreitete sie der Staatsanwaltschaft einen mehrseitigen „Haftvorschlag“. In diesem lesen sich bemerkenswerte Textpassagen, die die begehrte Untersuchungshaft rechtfertigen sollen.

So hatte etwa eine Zeugin, die Schwester eines Beschuldigten, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Nach Wertung der Polizei war davon auszugehen, daß ihr Bruder die Straftat begangen hatte, da sie andernfalls schließlich die Aussage nicht hätte verweigern dürfen.

Die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht lasse zudem vermuten, daß auf sie „eingewirkt“ worden sei. Es bestehe daher der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr.

Es folgt – ebenfalls unter der Überschrift „Verdunkelungsgefahr“ – die Feststellung, daß „im Übrigen die Mentalität des Beschuldigten, er hat türkische Wurzeln, nicht außer Acht gelassen“ werden darf.

Mal ganz abgesehen davon, daß ich nicht zu erkennen vermag, warum „türkische Wurzeln“ auf Verdunkelungsgefahr schließen lassen sollen, war der Beschuldigte deutscher Staatsangehöriger, hier geboren worden und auch hier aufgewachsen.

Aber es geht noch weiter: Der Beschuldigte sei „gerichtserfahren“, so daß „aus kriminalistischer Erfahrung“ darauf zu schließen sei, daß er Druck auf Zeugen und deren Familien ausüben werde.

Möglicherweise hätte die kriminalistische Erfahrung nicht gar so frei im Raum schweben und Tatsachen aufführen sollen, die auf eine beabsichtigte Verschleierung des Sachverhalts hinweisen.

RA Müller

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Strafrechtliches Rätsel zur Mittagsstunde IV

September 18, 2014

Nach langer Zeit darf ich wieder ein kleines Rätsel aus dem Strafrecht präsentieren (siehe auch Teil I, Teil II und Teil III):

Die Ehefrau des Mandanten hatte in seinem Namen und Auftrag über das Internet eine Bestellung gefertigt. Der bestellte Artikel sollte durch den Verkäufer personalisiert werden, indem die Vornamen der Eheleute eingraviert werden sollten. Der Verkäufer nahm die Gravur vor und versandte den Artikel. Der Kaufpreis belief sich ohne Versandkosten auf knapp 15,- €. Die Lieferung sollte per Nachnahme erfolgen. Zwei Zustellversuche scheiterten indes. Schließlich erstattete der frustrierte Verkäufer über einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt Strafanzeige.

Es folgt die Erhebung der Anklage durch die zuständige Staatsanwaltschaft. Der Mandant habe den Tatbestand des Betruges verwirklicht. Er habe nie beabsichtigt, den Artikel zu bezahlen.

Besagter Mandant ist nun in hohem Maße besorgt, schließlich steht er unter Bewährung.

Er kann darlegen, daß bei Bestellung durchaus die Absicht bestand, den Artikel zu bezahlen, aber selbst wenn dies nicht so sein sollte und man den von der Staatsanwaltschaft angegebenen Sachverhalt als zutreffend unterstellt: Hat der Mandant sich dann tatsächlich strafbar gemacht?

Möchte jemand der Staatsanwaltschaft (oder dem Verteidiger, falls ich falsch liegen sollte) auf die Sprünge helfen?

[Die Auflösung folgt demnächst.]

RA Müller

LÖSUNG:

Zur Lösung muß ich eigentlich gar keine Worte mehr verlieren und kann auf den Kommentar von „sowhy“ verweisen. Der Täter muß eine rechtswidrige Bereicherung anstreben. Bei einer Bestellung per Nachnahme kann sich der Täter indes ohne Bezahlung nicht in den Besitz des Artikels bringen. Es liegt also auf der Hand, daß der Mandant keinen Betrug begehen wollte.

[Der Kommentar von „TM“ hat sich in meinen Augen mit dem Hinweis auf die mittelbare Täterschaft einen Bonuspunkte für Kreatitivät verdient. Solch eine Lösung könnte auch Studenten in Uni-Hausarbeiten einfallen, wobei der Korrektor dann damit sitzt und sich fragt, wie er diesen außerhalb jeder Lösungsskizze befindlichen Teil bewerten soll ;)]

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Ertappt

Dezember 17, 2013

Mein Mandant wurde beschuldigt, den Anzeigeerstatter verletzt zu haben. Es hatte zwar neben dem Anzeigeerstatter kein Zeuge den angeblichen Übergriff gesehen und mein Mandant schilderte das Geschehen völlig anders. Aber aufgrund der Tatsache, daß der Zeuge tatsächlich Verletzungen aufwies, wurde mein Mandant schließlich angeklagt, woraufhin ich die Verteidigung übernahm.

Wie es der Zufall so wollte, wußte ich aus einem anderen Strafverfahren, in dem ich als Verteidiger tätig war, daß der Anzeigeerstatter unmittelbar vor dem Zusammentreffen mit meinem Mandanten in eine andere körperliche Auseinandersetzung verwickelt war. Der Anzeigeerstatter hatte allerdings vermutlich keine Ahnung, daß ich die dortige Strafakte kannte, da er dort als Zeuge verhindert war und auf ihn verzichtet werden konnte.

Zu der vorherigen Auseinandersetzung gab er in der nunmehrigen Hauptverhandlung an, daß es ihm gegenüber dort zu keinerlei Tätlichkeiten gekommen sei. Er habe sich nur verbal daran beteiligt. Die später festgestellten Verletzungen müßten daher zwingend auf das Zusammentreffen mit meinem Mandanten zurückzuführen sein.

Mir lag indes das Hauptverhandlungsprotokoll aus dem anderen Strafverfahren vor. Darin hatten sämtliche beteiligten Freunde des Anzeigeerstatters als Zeugen ausgesagt, daß der Anzeigeerstatter sich gerauft habe bzw. geschlagen worden sei. Zudem hatte ich im Auftrage meines Mandanten noch einen Zeugen benannt, welcher ebenfalls bestätigen konnte, daß der Anzeigeerstatter an der vorherigen körperlichen Auseinandersetzung aktiv beteiligt gewesen war.

Ertappt.

Die Verhandlung gegen meinen Mandanten endete mit einem verdienten Freispruch. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das Verfahren gegen meinen Mandanten ebenso ausgegangen wäre, wenn das vorherige Strafverfahren noch nicht stattgefunden hätte.

RA Müller

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Die Polizei und die defekte Festplatte

Oktober 25, 2013

In einem Strafverfahren hatte sich mein Mandant gegenüber dem Gericht darauf berufen, daß sich mittels einer auf einer Festplatte seines PCs befindlichen Datei seine Unschuld beweisen lasse. Die Festplatte sei allerdings defekt, so daß er die Datei nicht habe ausdrucken können. Er sei indes gerne bereit, dem Gericht die Festplatte zur Verfügung zu stellen zwecks eventueller Datenrettung.

Das Gericht übersandte die Festplatte dann auch über die Staatsanwaltschaft der Polizei, um feststellen zu lassen, ob die Festplatte noch zu retten und die in Rede stehende Datei darauf abgespeichert ist.

Es folgt der sinngemäß wiedergegebene Bericht der Polizei:

„Die Festplatte wird nicht erkannt. Sie ist vermutlich defekt und läßt sich nicht auswerten.“

Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, ob eine Datenrettung möglich ist. Nicht einmal die Ursache des Defekts der Festplatte wird bezeichnet.

Wer dieses Ergebnis bereits für ernüchternd hält, der halte sich fest angesichts der ebenfalls sinngemäß wiedergegebenen Schlußfolgerung, welche die Staatsanwaltschaft aus dem Bericht der Polizei zieht:

„Damit ist die Behauptung des Beschuldigten, die Datei XYZ befinde sich auf der Festplatte, widerlegt.“

RA Müller