Posts Tagged ‘Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren’

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Dauerbrenner: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

August 27, 2019

Immer wieder kommt es vor, daß mich Mandanten aufsuchen, denen eine angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nachgewiesen werden soll, indem Polizeibeamte die (ungefähre) Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeuges von dem (nicht geeichten) Tacho ihres eigenen Fahrzeuges abgelesen haben. Verschiedene Beiträge hierzu, die diese Problematik näher beleuchten, lassen sich bereits in den Untiefen dieses Blogs finden (etwa hier oder hier).

Vorliegend war das Verfahren für meinen Mandanten besonders brisant, da er über keine Fahrerlaubnis verfügte und lediglich mit einem kleinen Mofa unterwegs gewesen war. Mit einer Prüfbescheinigung hätte er dieses Gefährt auch im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen, wenn es denn eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h aufgewiesen hätte (§§ 4, 5 FeV). Kann das Mofa nur geringfügig schneller fahren, so wird noch ein Auge zugedrückt, da eine punktgenaue Drosselung kaum möglich ist. Wird diese Toleranz allerdings überschritten und der Betroffene verfügt lediglich über die Prüfbescheinigung, so liegt ein strafbares „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ vor. Das kann nicht nur teuer werden. Es ist auch die Verhängung einer Sperrfrist möglich, bis zu deren Ablauf dem Betroffenen keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Mein Mandant sollte nun anstelle von 25 km/h immerhin ca. 50 km/h gefahren sein. Da half ihm auch der vom hiesigen OLG Oldenburg bei dieser Art der „Geschwindigkeitsmessung“ vorgesehene Toleranzabzug von 20% nicht.

Er selbst schwor Stein und Bein, daß sein Mofa ordnungsgemäß gedrosselt war und nicht wesentlich schneller als 25 km/h fahren konnte. Die Polizeibeamten, die die Messung/Schätzung vorgenommen hatten, hatten im Rahmen der Kontrolle befürwortet, das Mofa auf den ganz in der Nähe gelegenen Rollenprüfstand zu stellen. Dort hätte sich zweifelsfrei klären lassen, welche Geschwindigkeit das Mofa tatsächlich erreichen konnte. Ein Anruf auf der Polizeiwache habe indes dazu geführt, daß Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gehalten worden sei. Diese habe die – von meinem Mandanten begrüßte! – Überprüfung des Mofas nicht für erforderlich gehalten. Die Sache sei schließlich eindeutig.

Nachträglich hatte mein Mandant sein Mofa durch den TÜV untersuchen lassen. Der TÜV bestätigte eine Höchstgeschwindigkeit von 29 km/h. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war diese Untersuchung allerdings nicht maßgeblich, da mein Mandant schließlich nach der Kontrolle Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen haben konnte. Tolles Argument, wenn doch die Staatsanwaltschaft selbst es verhindert haben soll, daß das Mofa seinerzeit auf den Rollenprüfstand gestellt wurde.

In der Hauptverhandlung konnte ich für meinen Mandanten dann gleichwohl einen Freispruch erzielen. Die beiden Polizeibeamten konnte im Rahmen ihrer eingehenden Vernehmung nicht einmal ein Mindestmaß der Angaben schildern, die die Rechtsprechung an die Verwertung einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tacho stellt.

RA Müller

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So geht es einfach nicht (Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren)

Juni 5, 2015

Mehrfach habe ich bereits berichtet, welche Ansätze die Verteidigung hat, wenn dem Betroffenen in einem Bußgeldverfahren eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorgeworfen wird, wobei die gefahrene Geschwindigkeit aus dem verfolgenden Polizeifahrzeug heraus durch das Ablesen des nicht geeichten Tachos ermittelt wird (siehe etwa die Beiträge hier, hier und hier). Es liegt auf der Hand, daß hier zahlreiche Fehlerquellen eine Rolle spielen können.

Um Ableseungenauigkeiten und einer Fehlanzeige des nicht geeichten Tachos Rechnung zu tragen, werden überwiegend 20% vom abgelesenen km/h-Wert abgezogen.

Damit ist es indes nicht genug:

  • Das verfolgende Fahrzeug hat einen ungefähr gleichbleibenden Abstand einzuhalten.
  • Dieser Abstand darf – abhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit – ein gewisses Maß nicht überschreiten.
  • Zu dicht soll der Abstand auch nicht sein.
  • Insbesondere bei schlechten Sichtverhältnissen ist die Prüfung besonders kritisch vorzunehmen.

Mit diesen Voraussetzungen befassen sich die Bußgeldstellen eher selten. Dort wird häufig pauschal ein Abzug von 20% vom Ablesewert angenommen und das war es dann. Befragt man die Meßbeamten vor Gericht, verschiebt sich das Bild häufig zugunsten des Betroffenen.

In einem kürzlich verhandelten Fall wurden bei einer abgelesenen Geschwindigkeit von „ca. 100 km/h“ bei erlaubten 50 km/h wurde dem Mandanten eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h vorgeworfen. Der Mandant befand sich noch in der Probezeit, hatte bereits zwei Verstöße begangen und hätte im Falle der Verurteilung seine Fahrerlaubnis wieder abgeben dürfen. Dies hätte den Mandanten seinen Arbeitsplatz gekostet. Der Mandant schwitzte also Blut und Wasser.

Der Meßbeamte konnte dann allerdings nicht einmal sagen, welche konkrete Geschwindigkeit er abgelesen habe. Es seien „vielleicht 100 km/h“ gewesen. Genau könne er das nicht sagen.

Den Abstand zum verfolgten Fahrzeug konnte er ebenfalls nicht einschätzen. Es sei ein Abstand gewesen, bei dem er nicht gefährdet worden sei. Auch eine ungefähre Schätzung (50m? 100m? 150m?) konnte er nicht vornehmen.

Daran, ob der Abstand zum verfolgten Fahrzeug gleichbleibend gewesen sei, hatte er ebenfalls keine konkrete Erinnerung mehr.

Das Ende vom Lied: Das Verfahren wurde auf Kosten der Staatskasse eingestellt.

RA Müller

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Wo „Polizist“ draufsteht, ist nicht unbedingt „guter Zeuge“ drin

Oktober 14, 2014

Polizeibeamte werden von Gerichten regelmäßig als Zeugen angesehen, deren Aussagen über (fast) jeden Zweifel erhaben sind. Tatsächlich verleitet bereits die bloße Art und Weise der Aussage  eines Polizeibeamten regelmäßig dazu, die Aussage für besonders genau zu halten. Während andere Zeugen gerade angesichts der häufig langen Dauer von Strafverfahren von Erinnerungslücken geplagt werden, kann der Polizeibeamte vor der Vernehmung in der Ermittlungsakte blättern und seine Erinnerung auffrischen. Auch kennt der Polizeibeamte die Situation bei Gericht, ist juristisch bewandert und weiß häufig, worauf des dem Gericht ankommt. Es ist nach alledem kein Wunder, wenn Gerichte Polizeibeamte gerne als Zeugen hören.

Gerichte sollten sich indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch die Aussagen von Polizeibeamten nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Dabei ist auch zu bedenken, daß Polizeibeamte im Berufsalltag mit einer Vielzahl ähnlicher Sachverhalte konfrontiert werden, so daß es durchaus nicht ungewöhnlich ist, wenn sich die Erinnerung an verschiedene Vorfälle vermengt. Bemerkenswert deutlich wurde dies in einer Hauptverhandlung, die kürzlich stattgefunden hat.

Mein Mandant war wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angeklagt worden. Er habe mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h im Straßenverkehr einen Roller geführt. Mit seiner Prüfbescheinigung habe er lediglich ein Mofa führen dürfen, dessen bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit 25 km/h nicht habe überschreiten dürfen.

Mein Mandant bestritt indes, so schnell gefahren zu sein, so daß das Gericht den Polizeibeamten aus dem Verfolgerfahrzeug als Zeugen vernahm. Da es weitere Zeugen nicht gab, war die Lage für meinen Mandanten gelinde gesagt „problematisch“.

Der Polizeibeamte schilderte den Sachverhalt – wenig überraschend – genau so wie er in der Akte festgehalten worden war. Abweichungen zum Akteninhalt gab es nicht. Die Aussage des Zeugen war präzise und wurde selbstbewußt vorgetragen … jedenfalls bis zu den Nachfragen der Verteidigung.

Die Frage etwa, ob er die Fahrzeugpapiere kontrolliert hatte, bejahte der Zeuge zunächst. Das mache er immer so und habe die Papiere auch in diesem Fall eingesehen.

Auf den Vorhalt, daß mein mein Mandant die Papiere gar nicht bei sich geführt hatte, stutzte der Zeuge.

Er räumte dann ein, daß dies möglich sei. Er habe den Angeklagten aber noch nach Hause gefahren. Dort habe er dann die Fahrzeugpapiere eingesehen.

Es folgte der weitere Vorhalt, daß er meinen Mandanten nicht zu sich nach Hause, sondern zu dessen Arbeitsstelle gefahren hatte, wohingegen sich die Papiere bei meinem Mandanten zu Hause befunden hatten.

Schließlich räumte der Beamte ein, daß es durchaus möglich sei, daß er die Papiere nicht eingesehen habe. Er könne entsprechend auch nicht sagen, welche Eintragungen sich aus den Fahrzeugpapieren ergeben.

Im Verlauf der Zeugenbefragung ergaben sich weitere Ungereimtheiten bei der Messung der Geschwindigkeit, zumal die Messung einer Geschwindigkeit mit einem nicht geeichten Tacho aus einem nachfolgenden Fahrzeug heraus ausgesprochen unsicher ist und strengen Anforderungen unterliegt.

Letztlich ist das Verfahren gegen meinen Mandanten ohne Auflage eingestellt worden.

RA Müller

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Geschwindigkeitsmessung – Die Praxis zeigt, daß der Einspruch sich lohnen kann

Juli 3, 2012

Ich hatte an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, daß sich der Verteidigung bei einer „Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren“ viele Angriffspunkte bieten (siehe hierzu auch diesen oder jenen Beitrag zum Beschluß des OLG Hamm vom 15.09.2011, in dem noch einmal in aller Kürze dargestellt wird, wie umfassend die richterlichen Ausführungen in einem solchen Fall zu sein haben).

Ein Kommentator verwies seinerzeit darauf, daß es doch klar sei, daß der Anwalt zum Einspruch rate, zweifelte indes wohl daran, daß sich ein solcher Einspruch auch auszahlen wird.

Hier daher nun der praktische Fall, auf dem mein damaliger Beitrag beruhte und welcher zwischenzeitlich verhandelt worden ist:

Dem Mandanten M war ein Polizeifahrzeug über eine Strecke von mehreren Kilometern gefolgt. Die Polizeibeamten lasen von ihrem Tacho über eine längere Strecke den Wert von 170 km/h ab. Erlaubt waren maximal 80 km/h.

Die Bußgeldstelle hielt M eine Meßtoleranz von immerhin 20% des abgelesenen Wertes zugute, so daß sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von noch stattlichen 136 km/h ergab. Hieraus folgte bei nicht ganz fernliegender Annahme von Vorsatz ein Bußgeld von 480,- € sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten, das M unter Umständen eine Kündigung durch den Arbeitgeber beschert hätte.

Ich empfahl M, gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen.

In der Terminsladung wies das Gericht darauf hin, daß die Rücknahme des Einspruchs erwogen werden möge. Es käme nach den Umständen des Einzelfalles auch die Erhöhung der Geldbuße und sogar des Fahrverbots in Betracht.

Das klang nach Textbaustein.

In der Verhandlung erfolgte dann eine längere Befragung der Zeugen.

Ergebnis: Das Gericht ging von einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von nur noch 116 km/h aus. Damit ermäßigte sich die Geldbuße deutlich und das Fahrverbot fiel gänzlich weg.

Das Verfahren hat sich für den Mandanten also mehr als gelohnt 🙂

(Ich hatte zudem den Eindruck, daß das Verfahren an sich dem Mandanten bereits eine Lehre war, womit dann allen gedient sein sollte.)

RA Müller