Vorsicht. Dieser Beitrag kann Spuren von Erdnüssen Ironie enthalten. Bei etwaiger Unverträglichkeit wird vom Konsum abgeraten.
Wer Staatsanwalt werden will, der muß sich zuvor einer besonderen Operation unterziehen: Es wird dem zukünftigen Kavalleristen der Justiz ein weiterer Muskel eingesetzt (in Fachkreisen musculus reiectionis genannt), der reflexhaft ablehnend auf jegliche Beweisanträge von Strafverteidigern reagiert.
Zu dieser Schlußfolgerung könnte man als Verteidiger jedenfalls das eine oder andere Mal gelangen, wenn man sich den Umgang von Staatsanwälten mit Beweisanträgen der Verteidigung besieht. In einem aktuell geführten Strafverfahren liegt im Wesentlichen eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor. Das Kerngeschehen hat sich also zwischen dem Angeklagten und dem einzigen Belastungszeugen zugetragen.
Der BGH hat zu den hohen Anforderungen bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen im Beschluß v.om02.09.2015 – 2 StR 101/15 – etwa wie folgt ausgeführt:
„Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (…). Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (…). Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (…).“
Auch kleinere, für sich genommen jeweils noch irgendwie zu erklärende Widersprüche in der Aussage des belastenden Zeugen, können in der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dazu führen, daß eine Verurteilung auf diese Aussage nicht gestützt werden kann. So hat der BGH im Beschluß vom 19.10.2000 – 1 StR 439/00 – wie folgt befunden:
„Hinzu kommt, dass das Landgericht die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Indizien jeweils eher isoliert in den Blick genommen hat. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter indes nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage auf-kommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen (…)“
In dem vorliegenden Strafverfahren hatte ich zahlreiche Beweisanträge gestellt, wobei die beantragte Beweiserhebung zum einen aufzeigen sollte, daß der Belastungszeuge ein handfestes, über Jahre hinweg immer wieder zum Ausdruck gebrachtes Interesse an der Verurteilung des Angeklagten hat, da er sich hieraus persönliche Vorteile verspricht, über die bereits erbittert gestritten worden ist. Zum anderen sollte die beantragte Beweisaufnahme erweisen, daß der Belastungszeuge im Rahmen seiner bisherigen Aussage in mehrfacher Hinsicht die Unwahrheit geäußert hatte. Diese Unwahrheiten betrafen zwar nicht unmittelbar das Tatgeschehen – sonst läge schließlich keine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor -, wohl aber Randtatsachen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu dem Tatgeschehen standen.
In ihrer Stellungnahme zu den Beweisanträgen beantragte die Staatsanwaltschaft gleichwohl, jeden einzelnen der Beweisanträge abzulehnen. Auf die Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ging die Staatsanwaltschaft nicht mit einem einzigen Wort ein. Mal solle der Belastungszeuge noch einmal angehört werden. Vielleicht habe er seine Aussage ja anders gemeint als er sie formuliert habe. Mal könne es zwar sein, daß er die Unwahrheit gesagt habe. Dies bedeute aber ja nicht zwingend, daß der Angeklagte unschuldig sei, so daß dem dann auch nicht weiter nachzugehen sei.
Bisweilen erweckt die Staatsanwaltschaft durch ein solches Verhalten den Eindruck, als gehörten Scheuklappen zur dienstlichen Pflicht, um ja nicht von dem durch die Anklage vorgegebenen Weg abweichen zu müssen. Das paßt dann zumindest wieder zur Bezeichnung als Kavallerie der Justiz. Wer jetzt meint, daß die Staatsanwaltschaft vorliegend die zügige Erledigung des Verfahrens herbeiführen wollte und dies angesichts der Überlastung der Gerichte doch ein verständliches Anliegen sei, der mag sich zwei Gesichtspunkte vor Augen halten: Einen zu Unrecht Verurteilten wird es sicherlich ungemein erleichtern, daß er zwar unschuldig im Gefängnis sitzt, die Verhandlung dafür aber schön schnell abgelaufen ist. Zudem werden die Beweisanträge vorliegend gar nicht zu einer Verzögerung führen, da das Gericht ohnehin noch auf ein von Amts wegen in Auftrag gegebenes Gutachten wartet. In der Wartezeit, die noch einige Wochen dauern dürfte, wird sich die beantragte Beweiserhebung ohne weiteres durchführen lassen.
Das Gericht hat den Anträgen übrigens – in meinen Augen zutreffend – in vollem Umfange stattgegeben und wird nun die beantragte Beweisaufnahme durchführen.
RA Müller