Posts Tagged ‘Fachanwalt für Verkehrsrecht’

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Der Zeuge, das unbekannte Wesen

September 20, 2019

Es ging um eine Unfallangelegenheit. Zwei Fahrzeuge waren miteinander kollidiert und jeder Fahrer wies dem jeweils anderen die alleinige Schuld an dem Unfall zu. Der Gegner konnte eine Schulfreundin, die sich als Beifahrerin in seinem Fahrzeug befunden hatte, als Zeugin aufbieten. Meinem Mandanten stand leider kein Zeuge zur Verfügung. Er berief sich zum Nachweis des Unfallherganges daher auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Der Zeuge wird als das häufigste aber auch unzuverlässigste Beweismittel bezeichnet. Wenn man nach so manchem Verkehrsunfall die Zeugen anhört, kann angesichts der ganz unterschiedlichen Aussagen das Gefühl aufkommen, daß die Zeugen ganz verschiedene Unfälle wahrgenommen haben müssen. Im vorliegenden Fall war es nun so, daß der Richter mit Zustimmung der beteiligten Anwälte gleich das Sachverständigengutachten zur Unfallrekonstruktion in Auftrag gab. Dieses versprach den größeren Erkenntnisgewinn als eine Zeugenaussage, nach der dann voraussichtlich ohnehin noch ein Gutachten einzuholen sein würde.

Leider sollte sich herausstellen, daß die Version meines Mandanten nach Auffassung des Sachverständigen zwar lebensnah war, aus technischer Sicht allerdings auch die Unfalldarstellung des Gegners darstellbar war.

Auf dieser Grundlage war absehbar, daß das Urteil 50:50 ausgehen würde, mein Mandant also den hälftigen Schaden erstattet bekommen würde, Hierauf hätte sich mein Mandant in dieser Prozeßlage auch verständigt, drohte doch noch die Zeugenaussage der gegnerischen Zeugin. Wenig überraschend wollte sich der Gegner nicht vergleichen und bestand darauf, daß seine damalige Beifahrerin noch als Zeugin zu vernehmen war. Sie werde seine Darstellung bestätigen.

Die Vernehmung der Zeugin hat nun stattgefunden. Wenig erfreut wird der Gegner gewesen sein, daß die von ihm benannte Zeugin seinen Angaben wiedersprach und den Unfallhergang im Wesentlichen so schilderte wie mein Mandant. Nach dieser Zeugenaussage ist mein Mandant nicht mehr bereit, sich auf 50% zu verständigen.

RA Müller

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In Sachen Abgasskandal

Juli 26, 2019

Seit geraumer Zeit bearbeite ich nun zahlreiche Verfahren aus dem Bereich des „Abgasskandals“. Reihenweise wird die Volkswagen AG durch das hiesige Landgericht zur Rücknahme der betroffenen Fahrzeuge gegen Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Der Käufer muß sich auf den Kaufpreis die „gezogenen Nutzungen“ nach der jeweiligen Kilometerleistung anrechnen lassen. Dabei ist die Berechnung dieser Nutzungen in aller Regel für den Käufer derart günstig, daß er sich mit der Rückgabe des Kfz deutlich besser steht, als wenn er das Fahrzeug selbst verkaufen müßte.

Ein kleiner Wermutstropfen lag bislang bei der Frage, von welcher „erwartbaren Gesamtlaufleistung“ des Fahrzeuges das Gericht ausgeht. Je höher die erwartbare Gesamtlaufleistung liegt, desto geringer ist schließlich der Anteil, den der Kläger „abgefahren“ hat. Nach meiner Wahrnehmung geht die überwiegende Anzahl der Richter im hiesigen Bereich von einer erwartbaren Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Dies erscheint mir auch als nicht unrealistisch. Einige wenige Richter legen ihrer Berechnung indes lediglich 250.000 km zugrunde.

Nun liegt mir in einem Berufungsverfahren ein erfreulicher Hinweis des OLG Oldenburg (2 U 194/19) vor, mit dem das Gericht der Volkswagen AG rät, die von dort aus eingelegte Berufung zurückzunehmen:

„Im Übrigen wird angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Die Auffassung des Senats zur Anwendbarkeit des § 826 BGB ist bekannt. Das Landgericht ist weiter von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ausgegangen, was der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht. Der zugesprochene Zinsausspruch begegnet keinen Bedenken.“

Das ist geradezu wohltuend angesichts der ständigen Beteuerungen der Gegenseite, daß Gerichte (angeblich) überwiegend von einer niedrigeren erwartbaren Gesamtlaufleistung ausgehen.

RA Müller

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Aus eins mach zwei

Juni 9, 2019

Einem meiner Mandanten wird vorgeworfen, bei unklarer Verkehrslage überholt zu haben. Dabei habe zudem er ein Fahrzeug geführt, dessen Betriebserlaubnis durch das Entfernen des Endschalldämpfers erloschen sei.

Die Vorwürfe wurde durch Polizeibeamte festgestellt, welche hinter meinem Mandanten fuhren, ihn anhielten und das von ihm geführte Fahrzeug in Augenschein nahmen. Der Vorgang wurde von der Polizei an die Bußgeldstelle abgegeben, die sodann unter Bezugnahme auf dieselbe Tatzeit und -örtlichkeit zwei gesonderte Bußgeldbescheide gegen meinen Mandanten erließ: Einmal wurde der Überholvorgang sanktioniert, einmal die fehlende Betriebserlaubnis.

Abgesehen davon, daß beide Bescheide mit den üblichen Gebühren verbunden waren, enthielt ein Bescheid lediglich ein übersichtliches Bußgeld, der andere wäre dagegen mit einer Eintragung im Fahreignungsregister verbunden, würde meinem Mandanten also einen „Punkt in Flensburg“ einbringen.

Mein Mandant benannte mir mehrere Zeugen. Diese würden bestätigen können, daß der schwerwiegendere Vorwurf gar nicht zutraf. Tatsächlich wird mein Mandant indes zur Verteidigung auf keine Zeugenaussage angewiesen sein. Dies folgt aus § 84 Abs.1 OWiG:

„Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.“

Entscheidend ist der Begriff „dieselbe Tat„. Dieser Begriff ist nicht gleichbedeutend mit demselben Gesetzesverstoß. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich mehrere mögliche Gesetzesverstöße im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorgangs verwirklicht haben:

„Die Tat umfaßt dabei das gesamte Verhalten des Betroffenen, soweit es mit dem im Bußgeldbescheid bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch mehrere, sachlich-rechtlich selbständige Handlungen sind dabei, soweit sie nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang bilden, verfahrensrechtlich eine einzige Tat, die nur in einem Verfahren verfolgt werden darf.“ (BGH Urt. vom 10.12.1985 – KRB 3/85)

Zur Illustration mag die Entscheidung des OLG Naumburg vom 26.01.2016 (2 Rv 10/16) herhalten. Dem dortigen Angeklagten wurde vorgeworfen, zunächst eine Trunkenheit im Straßenverkehr begangen zu haben, anschließend im Rahmen der polizeilichen Kontrolle die Angabe seiner Personalien verweigert und schließlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Wegen der Ordnungswidrigkeit (Verweigerung der Angabe der Personalien) erging ein Bußgeldbescheid, gegen den auf den Einspruch des Betroffenen hin gerichtlich verhandelt wurde. Der Betroffene wurde dabei wegen der Nichtangabe seiner Personalien verurteilt. Diese Verurteilung führte dazu, daß der Betroffene wegen der Trunkenheit im Verkehr und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nicht mehr verurteilt werden konnte. Es handelte sich nach Bewertung des Gerichts um einen einheitlichen Lebensvorgang.

Warum der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid überhaupt Einspruch eingelegt hat? Während es nach § 84 Abs.1 OWiG bereits ausreicht, daß bereits ein Bußgeldbescheid erlassen worden ist, um der Verfolgung weiterer Ordnungswidrigkeiten, die im Zuge derselben Tat verwirklicht worden sind, entgegenzustehen, tritt diese Rechtsfolge im Hinblick auf Straftaten nur ein, wenn wegen der Ordnungswidrigkeit eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist, § 84 Abs.2 OWiG. Will der Betroffene in einem solchen Fall also seiner Verurteilung wegen einer Straftat entgehen, mag es sich lohnen, auch in einem hoffnungslosen Fall gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen.

In dem Fall meines Mandanten stand keine Straftat im Raum, so daß es für ihn bereits ausreichte, wenn wegen derselben Tat bereits ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorlag. Er konnte also froh sein, daß die Bußgeldstelle ihm nicht einen sondern gleich zwei Bußgeldbescheide geschickt hatte. So konnte er nach seiner Wahl einen der Bescheide rechtskräftig werden lassen und gegen den zweiten einwenden, daß er wegen des Tatgeschehens bereits verurteilt worden war.

RA Müller

(siehe zu einem ganz ähnlichen Fall den Beitrag hier)

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Bizarres Telefonat mit einem Versicherer

Juli 24, 2015

Ist ein Totalschaden entstanden, so läßt sich einem dazu eingeholten Sachverständigengutachten der sogenannte Wiederbeschaffungswert entnehmen. Es handelt sich um den Wert, den das Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall aufwies, also um den Zeitwert. Wie in unzähligen anderen Unfallsachen auch übermittelte ich dem gegnerischen Versicherer nach einem Unfall, bei dem das E-Bike meiner Mandantin erheblich Schaden genommen hatte, das eingeholte Sachverständigengutachten, verwies auf den gutachterlich festgestellten Wiederbeschaffungswert und forderte zur Auszahlung des Betrages abzüglich des sogenannten Restwertes auf (Restwert = der Wert, den das Fahrzeug nach dem Unfall noch aufweist).

Die Reaktion des Versicherers ließ mich vermuten, daß der Sachbearbeiter neu in der Unfallregulierung war:

„Der Schaden an einem Fahrrad bemißt sich nicht nach dem Wiederbeschaffungswert, sondern nach dem Zeitwert. Bitte reichen Sie noch den Anschaffungsbeleg ein.“

Abgesehen davon, daß der Wiederbeschaffungswert identisch mit dem Zeitwert ist, fragte ich mich, wie der Sachbearbeiter aus dem geforderten (und überflüssigen) Anschaffungsbeleg den Zeitwert ablesen wollte. Er hätte natürlich ein Sachverständigengutachten einholen könne, aber es lag ja bereits eines vor…

Also rief ich kurzerhand bei dem Sachbearbeiter an, um die Sache schnell telefonisch zu klären. Es entwickelte sich ein recht bizarres Telefonat, in dem der Sachbearbeiter dabei blieb, daß bei Fahrrädern der Zeitwert und nicht der Wiederbeschaffungswert anzusetzen sei. Er mache das schon viele Jahre und kenne sich aus.

Auf meine Frage, wo der Unterschied zwischen Wiederbeschaffungswert und Zeitwert liege, entgegnete er:

„Der Wiederbeschaffungswert findet auf Kraftfahrzeuge Anwendung, der Zeitwert auf Sachen.“

Meine Anmerkung, daß Kraftfahrzeuge auch Sachen sind, ließ ihn unbeeindruckt:

„Bei Kraftfahrzeugen gibt es Sonderregelungen wie etwa Nutzungsausfall.“

Nun bereits leicht konsterniert wies ich darauf hin, daß es nach der Rechtsprechung auch bei Fahrrädern Nutzungsausfall gibt. Dies wollte mir der Sachbearbeiter nicht recht glauben. Ich bemühte also einen anderen Ansatz und wollte wissen, wie der Sachbearbeiter den Zeitwert definierte. Er erwiderte:

„Der Zeitwert berücksichtigt den Vorteil neu-für-alt, weil das Fahrzeug des Geschädigten ja bereits gebraucht war und er keinen Anspruch auf ein neues Fahrzeug hat.“

Ich wies darauf hin, daß der Geschädigte auch bei beschädigten Kraftfahrzeugen kein neues Fahrzeug bezahlt bekommt und der Wiederbeschaffungswert doch gerade berücksichtigt, welchen Wert das Kfz unmittelbar vor dem Unfall aufwies. Dies brachte den Sachbearbeiter zumindest kurz ins Grübeln, indes nicht sehr lange:

„Wiederbeschaffungswert und Zeitwert sind etwas anderes, sonst gäbe es ja nicht beide Begriffe.“

Sich seines „Arguments“ wohl selbst nicht ganz sicher fügte er rasch hinzu:

„Im übrigen habe ich das schon immer so gemacht.“

Ich schlug vor, eine Wette abzuschließen, daß er falsch liegt. Hierauf wollte sich der Sachbearbeiter des Versicherers leider nicht einlassen. Standhaft blief er allerdings bei seiner Auffassung, mit dem Gutachten hier nichts anfangen zu können, da es nur den Wiederbeschaffungswert und nicht den Zeitwert angebe.

Auf die Übersendung meiner Klageschrift hin erfolgte umgehend die vollständige Zahlung…

RA Müller

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Gefangen in einer Parallelwelt

Januar 9, 2015

Es ging um eine Unfallregulierung. Der Versicherer regulierte den Schaden ausgesprochen zögerlich, obwohl ich gleich in meinem ersten Schreiben darauf hingewiesen hatte, daß der Mandant nicht in der Lage war, vor Leistung des Schadensersatzes den Erwerb eines Ersatzfahrzeuges zu finanzieren, so daß kalendertäglich Nutzungsausfall anfiel. Der Versicherer möge erwägen, die Leistung als Vorschuß zu gewähren.

Den Versicherer ließ das relativ kalt. Die Regulierung wurde erst nach rund zwei Monaten vorgenommen.

Also forderte ich schließlich den entstandenen Nutzungsausfall an. Daraufhin reagierte der Versicherer pikiert. Es sei nicht zu erkennen, daß der Nutzungsausfall über diesen langen Zeitraum hinweg geschuldet sei. Der Mandant habe den Schaden teilweise auch selbst verursacht, schließlich habe er das Sachverständigengutachten erst drei Tage nach dem Unfall in Auftrag gegeben.

Aha. Eine „Verzögerung“ von drei Tagen ist also problematisch, die Unfallregulierung erst nach Ablauf von zwei Monaten dagegen nicht zu beanstanden? Der Sachbearbeiter des Versicherers scheint in seiner eigenen Welt zu leben, in der ganz eigene Gesetze herrschen. Da ist es doch positiv, daß die Frage des Nutzungsausfalls nach den allgemeingültigen Gesetzen entschieden wird, die den Versicherer nicht mit Begeisterung erfüllen werden 😉

RA Müller

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Streit trotz eindeutiger Beweislage

Mai 28, 2014

Der Mandant suchte mich in einer Unfallsache auf. Er war auf ein Tankstellengelände gefahren, um dort zu tanken. An einer Zapfsäule stand ein Motorradfahrer, der sein Fahrzeug soeben aufgetankt hatte. Der Mandant fuhr hinter dem Motorradfahrer lang. Unvermittelt und ohne sich umzudrehen ließ der Motorradfahrer sein Fahrzeug rückwärts rollen und stieß hierbei gegen das Kfz meines Mandanten.

Zeugen gab es für den Vorfall keine. Mein Mandant hatte aber das Glück, über die Tankstelle eine Videoaufzeichnung zu erhalten, auf welcher der gesamte Vorgang einschließlich der Tatsache, daß der Motorradfahrer sich nicht umgeschaut hatte, deutlich zu erkennen war. Die Bweislage war für meinen Mandanten also besser als in einer Vielzahl von anderen Unfallangelegenheiten.

Der Motorradfahrer hätte die Tankstelle zudem auch verlassen können, ohne sein Fahrzeug zurücksetzen zu müssen, da die Tankstelle über zwei Ausfahrten verfügte.

Der Motorradfahrer räumte sein Verschulden ein und sein Haftpflichtversicherer bezahlte … nur 70% des Schadens. Er verwies darauf, daß mein Mandant den Unfall hätte vermeiden können. Er sei zu schnell gewesen.

Die außergerichtliche Korespondenz einschließlich der Ankündigung, bei Ausbleibens der weiteren Zahlung den Restbetrag einklagen zu werden, führte zu keinem Umdenken. Für meinen Mandanten reichte ich also die Klage ein.

Prompt reagierte der Versicherer … und zahlte den eingeklagten Betrag auf Heller und Pfennig.

Es zeigt sich wieder einmal, daß man sich als Geschädigter nicht jede Kürzung gefallen lassen sollte. Allein die Tatsache, daß ein Versicherer sich auf eine angebliche Mithaftung beruft, heißt noch lange nicht, daß der Versicherer tatsächlich hinter dieser Argumentation steht. Bisweilen spekuliert der Versicherer lediglich darauf, daß der Geschädigte die Sache auf sich beruhen lassen wird.

RA Müller

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Das Rundum-Sorglos-Paket der Werkstätten

August 26, 2013

Unfälle werden heutzutage nicht selten durch Werkstätten reguliert. Die Werkstätten bieten dem Kunden an, für die Beauftragung des Gutachters zu sorgen und alle Formalitäten in die Hand zu nehmen. Kosten seien damit nicht verbunden. Für den Geschädigten erscheint dies als „Rundum-Sorglos-Paket“, zumal das beschädigte Fahrzeug sich in der Regel ohnehin bei der Werkstatt befindet. Tatsächlich machen die Geschädigten häufig den sprichwörtlichen Bock zum Gärtner, da die Werkstatt zunächst ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen im Blick hat.

Ein Paradebeispiel für eine solche Unfallregulierung, in dem die Einstandspflicht des gegnerischen Versicherers unstreitig war, liegt mir aktuell vor:

  • Die Werkstatt beauftragte im Namen ihres Kunden den Sachverständigen. Es handelte sich indes um einen Sachverständigen, dessen Auswahl die Werkstatt zuvor mit dem einstandspflichtigen Versicherer abgestimmt hatte. Hätte der Geschädigte, der den Sachverständigen frei hätte wählen können, wirklich gewollt, daß die Gegenseite den Sachverständigen aussucht, der über die Schadenshöhe entscheidet?
  • Nunmehr neun Monate nach dem Unfall ist der Unfall bei klarer Verursachungslage noch nicht vollständig reguliert.
  • Die Werkstatt hat ihren Kunden darauf hingewiesen, daß der Schaden nur dann bezahlt wird, wenn er das Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren läßt. Diese Auskunft ist vorliegend schlichtweg falsch und dürfte nur dazu gedient haben, den Reparaturauftrag zu erhalten. Ebensogut hätte der Mandant etwa aus dem Gutachten den Netto-reparaturbetrag geltend machen können, ohne das Fahrzeug überhaupt zu reparieren.
  • Die eingetretene Wertminderung ist noch nicht bezahlt worden. Der Werkstatt konnte das gleichgültig sein, da dieser Betrag „nur“ dem Kunden zusteht. In anderen Fällen habe ich bereits erlebt, daß eine solche Wertminderung, obgleich diese nahe lag, im Gutachten des (Versicherungs-)Sachverständigen gar nicht ausgewiesen war und erst auf ein entsprechendes anwaltliches Schreiben hin ergänzt wurde.
  • Auch Nutzungsausfall ist bislang nicht bezahlt worden. Das Sachverständigengutachten läßt zudem die Angabe vermissen, welcher Betrag pro Tag anzusetzen ist. Auch dieser Betrag steht nur dem Kunden zu, so daß ein eigenes Interesse der Werkstatt an der Geltendmachung dieser Forderung nicht besteht. Es drängt sich die Frage auf, wie viele Geschädigte in vergleichbaren Fällen gar nicht merken, daß der ersatzfähige Schaden gar nicht vollständig ausgeglichen worden ist.

Das vermeintliche Rundum-Sorglos-Paket hat dem Geschädigten vorliegend merklichen Verdruß bereitet, ohne daß er hiervon einen Vorteil hatte. Man sollte es sich gut überlegen, bevor man den Bock zum Gärtner macht…

(Bei der Beauftragung eines Anwalts wären bei dem Geschädigten auch ohne Rechtsschutzversicherung keine Anwaltskosten verblieben, da der Versicherer des Unfallverursachers auch diese Anwaltskosten übernehmen muß. Ein im Verkehrsrecht tätiger Anwalt hätte dem Geschädigten auch einen Sachverständigen benennen können, der seine Tätigkeit nicht nach den Interessen der Versicherungswirtschaft ausrichtet.)

RA Müller

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Sachverständiger und Sachverstand?

Juli 25, 2013

Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger hatte ein schriftliches Gutachten erstellt, das bedauerlicherweise zulasten des Mandanten ausgefallen war. Trotz entsprechender Einwände hatte der Sachverständige in zwei ergänzenden Stellungnahmen an seinem Gutachten festgehalten. Er „durfte“ sein Gutachten dann mündlich erläutern, wirkte dabei indes recht unsicher.

Zunächst bekundete der Sachverständige, daß er nicht wisse, wie bei dem in Rede stehenden Fahrzeug der Ölkreislauf funktioniere. Da ist man bereits mehr als erstaunt. Die Frage klingt für mich nach einer Grundlagenfrage. Man ist um so mehr verwundert, wenn man weiß, daß sich der Sachverständige bereits in seinen ergänzenden Stellungnahmen mit dem Ölkreislauf befassen durfte. Hatte er dort lediglich geraten, wenn ihm der Ölkreislauf des Fahrzeuges gar nicht bekannt war?

Es folgten verschiedene Aussagen zu dem vermutlichen Ölkreislauf, zu denen mir ein anderer Sachverständiger mitteilte, daß diese auf kein halbwegs aktuelles Fahrzeug zuträfen.

Dann behauptete der Sachverständige, daß ein lockeres Bauteil sich „schwingungsbegünstigend“ ausgewirkt habe. An anderer Stelle verwies er darauf, daß die Wirkung „schwingungsbelastend“ sei. Auf meinen Vorhalt schwenkte er darauf um, daß es auf das jeweilige Fahrverhalten ankomme und beide Antworten richtig seien.

Auf diese Weise zogen sich mehr als 90 Minuten Befragung des Sachverständigen hin, welcher zunehmend ins sprichwörtliche Schwitzen geriet. Es ergab sich eine Vielzahl von Widersprüchen.

Daneben lag ein vorprozessual von meinem Mandanten in Auftrag gegebenes Gutachten vor, das zu einem abweichenden Ergebnis kam. Dieses Gutachten war widerspruchsfrei.

Ich beantragte also nach der Befragung des gerichtlich bestellten Sachverständigen die Einholung eines Obergutachtens.

Das Gericht hielt dieses zu meiner Überraschung nicht für erforderlich. Zwar hätten die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen Widersprüche beinhaltet. Allen Widersprüchen zum Trotze sei der Sachverständige „trotz der sehr kritischen Befragung durch den Klägervertreter“ konstant bei dem Ergebnis seines Gutachtens geblieben, so daß dem Gutachten zu folgen sei.

Woraus sich dieses blinde Vertrauen auf den gerichtlich bestellten Gutachter ergab, erschloß sich mir nicht. Die zahlreichen Widersprüche ließ das Gericht im Urteil zu einem guten Teil unerwähnt. Das außergerichtliche Gutachten fand in dem Urteil gar keine Erwähnung, obgleich der BGH eine Darlegung fordert, aus welchem Grund den Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters der Vorzug über ein Parteigutachten gegeben wird.

Ganz so einfach hätte es sich das Gericht nicht machen dürfen. Das Berufungsgericht darf es nun richten und hat bereits angekündigt, das beantragte Obergutachten einholen zu werden. Man darf sich also gespannt zeigen.

RA Müller

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Bedenklich, wenn nicht gar strafbar…

Februar 19, 2013

In einer Zivilsache vertrete ich die Beklagten, von welchen der Kläger die Bezahlung seines materiellen Schadens sowie Schmerzensgeld verlangt. Die außergerichtliche Regulierung scheiterte an den aus meiner Sicht völlig überzogenen Ansprüchen des Klägers sowie der Tatsache, daß er sich teilweise schlichtweg weigerte, seinen Schaden zu belegen.

Bereits in erster Instanz empfand ich den anwaltlichen Vortrag des Klägers als bedenklich. Selbst als das Landgericht schließlich darauf hinwies, zu welchen Schadenspositionen der Vortrag des Klägers bislang unsubstantiert war, erfolgte durch den Kläger keine wesentliche Nachbesserung. Teilweise war der Vortrag sogar in sich widersprüchlich.

Wenig überraschend wurde die Klage durch das Landgericht ganz überwiegend abgewiesen.

Der Kläger ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, in die Berufung zu schreiten. Das Oberlandesgericht fand indes in einem an die Klägerseite gerichteten Hinweisbeschluß so deutliche Worte wie man sie an vergleichbarer Stelle nur selten liest.

Teilweise sei der anwaltliche Vortrag des Klägers

„äußerst bedenklich (und ggf. in strafrechtlicher Weise zu würdigen)“.

An anderer Stelle heißt es, daß der Vortrag des Klägers

„nachdrücklich zu bezweifeln“,

„insgesamt nicht plausibel“

sowie erneut

„äußerst bedenklich“

sei. Es wäre angesichts derart deutlicher Worte nicht allzu verwunderlich, wenn der Kläger seinen Namen zeitnah auf einem roten Aktendeckel wiederfindet (siehe etwa hier oder hier).

RA Müller

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„Gekauft wie gesehen“ – Jetzt wird es spitzfindig

Januar 22, 2013

Nicht selten wird in Kaufverträgen – gerade beim Kfz-Kauf – die Klausel „gekauft wie gesehen“ verwendet. Gibt es später Probleme mit dem Fahrzeug, verweisen Verkäufer häufig darauf, daß mit dieser Klausel die Sachmängelhaftung ausgeschlossen sei.

Ich hatte hier im Blog bereits dargestellt, daß diese Annahme regelmäßig nicht zutrifft. Ausgeschlossen sind bei einem Kauf „gekauft wie gesehen“ nur jene Mängel, welche der Käufer bei einer Besichtigung des Fahrzeuges unschwer und ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen bemerken kann.

Dieser Auffassung wollte nicht nur einer der Leser meines früheren Beitrages nicht folgen. Auch ein Kollege vertrat die gegenteilige Auffassung. Sein Mandant lehnte es ab, das meinem Mandanten veräußerte und mit einem Mangel behaftete Fahrzeug zu reparieren beziehungsweise zurückzunehmen.

In der 1. Instanz setzte ich für meinen Mandanten den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises durch.

Der Verkäufer des Fahrzeuges legte Berufung ein und berief sich über seinen Anwalt darauf, daß in diesem Fall der Klausel „gekauft wie gesehen“ ausnahmsweise ein umfassender Ausschluß der Sachmängelhaftung zu entnehmen sei. Dabei verwies der Anwalt auf verschiedene Gerichtsurteile, die angeblich eine verleichbare Konstellation betrafen.

Nun lebt die Juristerei von Ausnahmen. Antworten von Juristen beginnen daher angeblich häufig mit den Worten „Das kommt darauf an“ und begnügen sich nicht mit einem knappen „Ja“ oder „Nein.

Auch bei der Auslegung der Klausel „gekauft wie gesehen“ gibt es Ausnahmefälle, die auf einen Ausschluß der Sachmängelhaftung schließen lassen. So wird in der Literatur darauf verwiesen, daß ein solcher Fall vorliegen soll, wenn der Kaufpreis „nahe der Schrottpreisgrenze“ liegt und der Käufer bereits am Preis erkennen konnte, was ihn erwartet. In einer Entscheidung des OLG Köln wurde ein solcher Ausnahmefall zudem bei der Veräußerung eines Kraftfahrzeuges mit einer Laufleistung von 600.000 Kilometern angenommen.

Hieraus wird deutlich, daß es sich tatsächlich um Ausnahmen handelt, bei denen das Gericht nach den äußeren Umständen die Überzeugung gewonnen hat, daß ein vollständiger Ausschluß der Sachmängelhaftung dem Willen der Vertragsparteien entsprach.

Ein solcher Fall wird nicht nur in aller Regel nicht gegeben sein, er lag auch in dem oben dargestellten Verfahren nicht vor, so daß der Verkäufer seine Berufung schließlich nach einem entsprechend deutlichen Hinweis des Gerichts zurückgenommen hat.

RA Müller