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Das Glück liegt nicht unbedingt in der Ferne

Dezember 18, 2019

Gegen den Mandanten und einen Mitangeklagten war Anklage zum Schöffengericht erhoben worden. Es waren so einige Akten zusammengekommen. Die Angeklagten waren dann auch kurzerhand in Untersuchungshaft genommen worden.

Es gibt den schönen Spruch „U-Haft schafft Rechtskraft“, da schon so mancher Beschuldigter sich um Kopf und Kragen geredet hat, nur um bis zur späteren Verhandlung aus der Haft entlassen zu werden. Ob die Angaben dann immer wahrheitsgemäß sind oder auch manche Angabe getätigt wird, weil man das aus Sicht des Angeklagten möglicherweise so hören möchte, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Vorliegend verhielten sich die beiden Angeklagten indes besonnen und machten von ihrem Schweigerecht Gebrauch.

Bei erster kurzer Durchsicht des Aktenkonvoluts war mein Eindruck noch, daß die Lage eher finster aussah. Je tiefer ich mich indes in die Akte einarbeitete, desto mehr Lichtblicke ergaben sich und meine Miene hellte sich in demselben Maße auf wie Licht auf die Löcher in der Indizienkette der Strafverfolger fiel.

  • Ein wesentliches Indiz (Telekommunikationsdaten) war aus meiner Sicht auf eine Art und Weise erhoben worden, welche der Verwertung entgegenstand. Dies sah auf meinen Verwertungswiderspruch hin auch das Gericht so.
  • Sodann hatte die Polizei sich an einer Stelle versehen und meinem Mandanten eine Telefonnummer zugeordnet, die aber tatsächlich von der (vermuteten) Rufnummer meines Mandanten um eine Ziffer abwich.
  • Zwei Taten sollten laut Anklageschrift mit einem Werkzeug (Schneidbrenner) begangen worden sein, wobei die Angeklagten zeitnah zur Tat über ein solches Werkzeug verfügt hatten. Tatsächlich waren aber schon nach Aktenlage bei beiden Taten je unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz gekommen. Bei keinem der Werkzeuge soll es sich um einen Schneidbrenner gehandelt haben.
  • In einem Fall war die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts, für den es durchaus Anhaltspunkte gab, nicht bedacht worden.

Nach und nach entpuppte sich die Anklageschrift als ein ausgesprochen wackliges Kartenhaus, so daß das Gericht nach dem zweiten Hauptverhandlungstag die Angeklagten hinsichtlich der weiteren Verhandlung aus der Untersuchungshaft entließ.

Mein Mandant wurde im Rahmen der weiteren Hauptverhandlung schließlich freigesprochen.

Der Mitangeklagte „entging“ diesem oder einem ähnlichen Schicksal. Er hatte sich nach der Entlassung aus der Haft abgesetzt. In all den Jahren meiner Tätigkeit habe ich es – wenn mich meine Erinnerung nicht trügt – nur zweimal erlebt, daß ein Mandant sich einem Verfahren durch Flucht entzieht. In beiden Fällen stellten die Mandanten fest, daß das Leben als Dr. Richard Kimble auf der Flucht kein Zuckerschlecken ist, so daß es dann schließlich doch zur Hauptverhandlung kam. Auch vorliegend habe ich erhebliche Zweifel daran, daß der Mitangeklagte meines Mandanten seinen Entschluß sorgfältig durchdacht hat.

RA Müller

2 Kommentare

  1. Super geschriebener Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen


  2. Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen 🙂



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