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Wer sich entlasten will, benötigt einen Pflichtverteidiger

Mai 26, 2011

Es stand eine Freiheitsstrafe von voraussichtlich deutlich unter einem Jahr im Raum. Der Angeklagte war anwaltlich vertreten. Es handelte sich um einen Wahlverteidiger. Der Angeklagte hatte mitgeteilt, aktuell über kein Einkommen zu verfügen.

Zu Beginn der Verhandlung wandte sich das Gericht an den Verteidiger mit der Frage, ob er einen Beiordnungsantrag stellen wolle. Der Verteidiger verneinte. Da die Pflichtverteidigung nicht von der Höhe des Einkommens abhängig ist, sondern u.a von der Höhe der drohenden Strafe, lag ein Antrag auf Beiordnung auch eher fern, zumal es bisweilen bizarr anmutet, zunächst auf Beiordnung zu drängen und hierbei auf eine massive Strafe zu verweisen, die dem Angeklagten drohe. Es versteht sich von selbst, daß das nicht immer im Interesse des Angeklagten ist.

In der Urteilsverkündung dann die Überraschung: Da der Angeklagte keinen Beiordnungsantrag gestellt habe, sei sich das Gericht sicher, „um was für einen Typ Angeklagten“ es sich handele. Er habe ersichtlich genug Geld, den Verteidiger selbst zu bezahlen, so daß er wohl durch das Land ziehe und laufend Straftaten begehe.

Vielleicht hätte der Richter sich vergegenwärtigen sollen, daß Pflichtverteidigung mit der Höhe des Einkommens nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat.

Aber vielleicht sollte man zukünftig bei diesem Richter stets die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen: „Mein Mandant möchte keinen falschen Eindruck erwecken, daher beantrage ich, mich dem Angeklagten als Pflichtverteidiger zu bestellen“.

RA Müller

7 Kommentare

  1. Was spricht dagegen, die geringe Straferwartung dankend zu akzeptieren und den (aussichtslosen) Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger mit der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage zu begründen? Mir ist noch kaum ein Fall untergekommen, in dem ein juristischer Laie sich wirklich bis ins Detail hätte sachgerecht verteidigen können.
    Und wenn schon das Gericht danach fragt, sollte man die Steilvorlage dankend annehmen.


    • Auf der anderen Seite: Warum sollte sich der (bezahlte) Wahlverteidiger mit in der Sache unzutreffenden Argumenten um eine Pflichtverteidigung bemühen?


      • Das Argument, das sich der Angeklagte aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht selbst verteidigen kann ist in 99,9 % der Fälle inhaltlich zutreffend. Die Rechtsprechung sieht das nur leider anders 😉

        Im Übrigen haben Sie natürlich recht, dass es das Gericht an sich nichts angeht, wie der mittellose Angeklagte zu seinem Wahlverteidiger kommt.

        Trotzdem ist in vielen Fällen eine Bestellung als Pflichtverteidiger auch für den Mandanten besser und dann ergreifen ich jeden Strohhalm in dieser Richtung.


  2. Und genau aus diesem Grund beanzrage ich grundsätzlich meine Beiordnung, wenn es auch nur irgendwie in Frage kommen könnte, weil eigentlich jeder routinierte Verteidiger wissen muss, dass fast alle Richter so ticken. Dieser hat es wenigstens mal offenbart.

    Ob ich später mit der Staatskasse abrechne, steht auf einem anderen Blatt. Dass ich die Beiordnung beantrage, begründe ich dem Mandanten auch genau mit dem Argument: Weil es die Staatsanwaltschaft und das Gericht nichts angeht, ob Sie mich bezahlen können!

    In meinen Augen ein klares voraussehbares Klassisches Eigentor des Kollegen.


    • Die Voraussetzungen einer Beiordnung lagen indes nicht vor. Da erscheint es doch eher seltsam, einen Beiordnungsantrag zu stellen, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.


  3. Na, zumindest dürfte das Urteil so auf keinen Fall halten… 🙂


  4. Ob die Voraussetzungen vorlagen, entscheidet der Richter in dem Moment. Und wenn er schon fragt, heißt es zuschlagen.



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