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Strafzumessung: „Wer weiß schon, was der noch alles getan hat…“

Februar 20, 2013

In einem Strafverfahren hatte ich die Nebenklägerin vertreten, um auf eine Verurteilung hinzuwirken. Die Tathandlungen lagen lange zurück. Die Anzahl der begangenen Tathandlungen ließ sich nicht zuverlässig bestimmen, so daß die Staatsanwaltschaft der Anklageschrift eine Mindestzahl von Taten zugrunde gelegt hatte. Man war sich also sicher, daß der Angeklagte zumindest diese Anzahl an Taten begangen hatte.

Der Angeklagte wurde entsprechend verurteilt, nachdem er sich – nach einigem Zögern – im Umfang der Anklage geständig eingelassen hatte. Im Rahmen des schriftlichen Urteils hat das Gericht nun strafschärfend Folgendes festgehalten:

„Zulasten des Angeklagten fällt ins Gewicht, daß es sich bei den angeklagten und ausgeurteilten Taten nur um eine Mindestanzahl von Taten handelt, die der Angeklagte begangen hat.“

Das Gericht vermutet also, daß der Angeklagte mehr Taten begangen hat, kann das aber nicht beweisen, zögert aber nicht, die nicht angeklagten und nicht erwiesenen Taten nunmehr strafschärfend zu bewerten.

Das nenne ich „mutig“. Obgleich: So mutig ist es dann wohl doch nicht, schließlich war gegen das Urteil durch den Verteidiger des Angeklagten kein Rechtsmittel eingelegt worden…

RA Müller

11 Kommentare

  1. Obschonobgleich: Das Urteil war doch sicher geschrieben, bevor die Rechtsmittelfrist abgelaufen war, so dass der Richter doch nichts von einem Verzicht auf Einlegung wissen konnte…


    • Ausformuliert werden Urteile in Strafsachen erst nach Ablauf der Frist.


    • Das hab ich mir nach den Kommentaren unten auch schon gedacht. Aber vielen Dank. Man merkt halt, dass mein Fach ein anderes ist.


  2. Ich bin kein Jurist, finde das aber nicht „mutig“ sondern „komisch“; und das auch nur, weil mir keine passende Vokabel einfällt. Vielleicht können Sie mich ja aufklären, ich dachte bisher, dass grundsätzlich nur die bewiesenen Taten in das Strafmaß einfliessen, oder? Die möglicherweise oder auch nicht begangenen weiteren Straftaten sind weder angeklagt noch sonst irgendwie belegt. Einen weiteren Verdacht als schulverschärfend zu gewichten … ich dachte, dass das ein starker Hinweis auf eine Befangenheit des Gerichts ist und ein Rechtsmittel doch angezeigt wäre.

    Sie schreiben ja nicht, was dem Angeklagten vorgeworfen wird – Diebstähle, Körperverletzungen nehme ich an. Ist es normal, dass im Falle mehrerer Straftaten bei der Strafvermessung angenommen wird (angenommen werden kann…), dass er möglicherweise weitere ähnliche Delikte begangen hat?


    • Ich wollte mir meiner dezenten Wortwahl darauf hinweisen, daß ich die Strafzumessung für fehlerhaft halte.
      Im Strafrecht muß das Rechtsmittel allerdings regelmäßig innerhalb einer Woche nach Urteilsverkündung eingelegt werden. Da der Angeklagte vorliegend kein Rechtsmittel eingelegt hatte, wird er mit der meines Erachtens fehlerhaften Strafzumessung leben müssen.


  3. @Larifarimogelzahn
    Im Strafrecht legen die Gerichte ihre schriftlichen Urteilsgründe in der Regel erst nieder, nachdem Klarheit herrscht, ob das Urteil rechtskräftig ist oder nicht. Ist ein Urteil rechtskräftig muss das Gericht zum Beispiel nicht im Einzelnen ausführen, auf Grund welcher Beweismittel es den Verurteilten für überführt angesehen hat.

    Gem. § 267 Abs. 4 StPO ist es im Falle der Rechtskraft sogar so, dass die Gerichte davon absehen können, ihre Strafzumessungsgründe mitzuteilen oder näher darzulegen, weshalb sie auf Strafaussetzung zur Bewährung erkannt haben oder nicht.

    Passen dem Verurteilten die schriftlichen Urteilsgründe nicht, kann er dagegen in der Regel nicht vorgehen. Insbesondere gibt es keine Möglichkeit, feststellen zu lassen, dass einzelne Strafzumessungsgründe falsch sind. Will ein Verurteilter dies verhindern, muss er innerhalb der Rechtsmittelfrist Rechtsmittel einlegen. Dann bekommt er ein umfänglich begründetes Urteil und kann dagegen vorgehen, wenn er mit ihn zumindest teilweise nicht einverstanden ist.


    • Also bleibt nur um sicher zu sein das man nicht Opfer von solchen Situationen wird immer Rechtsmittel einzulegen und diese zurückzuziehen wenn das ausgeschriebene Urteil ok ist?

      Schiessen sich die Gerichte damit nicht selber ins Knie?


      • Die Rechtsmittelfrist gibt nun einmal das Gesetz vor. Ich halte sie allerdings für ausgesprochen diskutabel, zumal etwa im Zivilrecht die Frist mit Zustellung des Urteils beginnt, auch wenn das Urteil (ausnahmsweise) in Anwesenheit des Verurteilten verkündet worden sein sollte.


        • Danke für die Antwort.


  4. Es ist letztlich wie immer bei Urteilen aller Art:

    Gelesen wird nur der Tenor. Passt der, gibt’s kein Rechtsmittel. Passt er nicht, gibt’s eins.

    Im Grunde hätte das Gericht hier die Urteilsgründe auch weglassen können, wenn nicht ein anderer Verfahrebeteiligter Rechtsmittel eingelegt hat.



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