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Wo „Polizist“ draufsteht, ist nicht unbedingt „guter Zeuge“ drin

Oktober 14, 2014

Polizeibeamte werden von Gerichten regelmäßig als Zeugen angesehen, deren Aussagen über (fast) jeden Zweifel erhaben sind. Tatsächlich verleitet bereits die bloße Art und Weise der Aussage  eines Polizeibeamten regelmäßig dazu, die Aussage für besonders genau zu halten. Während andere Zeugen gerade angesichts der häufig langen Dauer von Strafverfahren von Erinnerungslücken geplagt werden, kann der Polizeibeamte vor der Vernehmung in der Ermittlungsakte blättern und seine Erinnerung auffrischen. Auch kennt der Polizeibeamte die Situation bei Gericht, ist juristisch bewandert und weiß häufig, worauf des dem Gericht ankommt. Es ist nach alledem kein Wunder, wenn Gerichte Polizeibeamte gerne als Zeugen hören.

Gerichte sollten sich indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch die Aussagen von Polizeibeamten nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Dabei ist auch zu bedenken, daß Polizeibeamte im Berufsalltag mit einer Vielzahl ähnlicher Sachverhalte konfrontiert werden, so daß es durchaus nicht ungewöhnlich ist, wenn sich die Erinnerung an verschiedene Vorfälle vermengt. Bemerkenswert deutlich wurde dies in einer Hauptverhandlung, die kürzlich stattgefunden hat.

Mein Mandant war wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angeklagt worden. Er habe mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h im Straßenverkehr einen Roller geführt. Mit seiner Prüfbescheinigung habe er lediglich ein Mofa führen dürfen, dessen bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit 25 km/h nicht habe überschreiten dürfen.

Mein Mandant bestritt indes, so schnell gefahren zu sein, so daß das Gericht den Polizeibeamten aus dem Verfolgerfahrzeug als Zeugen vernahm. Da es weitere Zeugen nicht gab, war die Lage für meinen Mandanten gelinde gesagt „problematisch“.

Der Polizeibeamte schilderte den Sachverhalt – wenig überraschend – genau so wie er in der Akte festgehalten worden war. Abweichungen zum Akteninhalt gab es nicht. Die Aussage des Zeugen war präzise und wurde selbstbewußt vorgetragen … jedenfalls bis zu den Nachfragen der Verteidigung.

Die Frage etwa, ob er die Fahrzeugpapiere kontrolliert hatte, bejahte der Zeuge zunächst. Das mache er immer so und habe die Papiere auch in diesem Fall eingesehen.

Auf den Vorhalt, daß mein mein Mandant die Papiere gar nicht bei sich geführt hatte, stutzte der Zeuge.

Er räumte dann ein, daß dies möglich sei. Er habe den Angeklagten aber noch nach Hause gefahren. Dort habe er dann die Fahrzeugpapiere eingesehen.

Es folgte der weitere Vorhalt, daß er meinen Mandanten nicht zu sich nach Hause, sondern zu dessen Arbeitsstelle gefahren hatte, wohingegen sich die Papiere bei meinem Mandanten zu Hause befunden hatten.

Schließlich räumte der Beamte ein, daß es durchaus möglich sei, daß er die Papiere nicht eingesehen habe. Er könne entsprechend auch nicht sagen, welche Eintragungen sich aus den Fahrzeugpapieren ergeben.

Im Verlauf der Zeugenbefragung ergaben sich weitere Ungereimtheiten bei der Messung der Geschwindigkeit, zumal die Messung einer Geschwindigkeit mit einem nicht geeichten Tacho aus einem nachfolgenden Fahrzeug heraus ausgesprochen unsicher ist und strengen Anforderungen unterliegt.

Letztlich ist das Verfahren gegen meinen Mandanten ohne Auflage eingestellt worden.

RA Müller

6 Kommentare

  1. Wozu vor Ort einsehen? Jedes polizeiliche Auskunftssystem ermöglicht eine sofortige Abfrage über Funk. Und im Ausnahmefall tuts telefonisch auch die Führerscheinstelle… Letztlich tut es dem Verfahen keinen Abbruch, wann und wo die Papiere eingesehen wurden. Mit solchen Argumenten einen „Rechtsbrecher“ freizukloppen, lässt an der inneren Einstellung zweifeln…


    • Mißlich nur, daß die Akte gerade keine konkreten Angaben zu den Fahrzeugdaten enthielt und der Angeklagte behauptete, das Fahrzeug fahren zu dürfen. Der Polizist behauptete zudem ausdrücklich, die Papiere gesehen zu haben.
      Ob der Angeklagte tatsächlich ein „Rechtsbrecher“ war, stand auch gerade im Streit.

      Sie würden sich im Zweifelsfall natürlich lieber von einem Verteidiger vertreten lassen, der keine Bedenken äußert und keine kritischen Nachfragen stellt…


  2. Und da ist es wieder, das polizeiliche Standardargument: Das mache ich immer so – und deshalb auch in diesem Fall. 😉


  3. Gerade bei Standardfällen (Geschwindigkeitsübertretung, Verkehrsunfall etc.) räumen jedenfalls in unserem Sprengel viele polizeiliche Zeugen von vornherein ein, dass sie keine eigene genaue Erinnerung an den Fall mehr haben, sondern nur das wiedergeben können, was in der Anzeige drinstand – wie auch, wenn es keine Besonderheiten gab und seitdem Hunderte gleichartiger Fälle. „Mach‘ ich immer so“ wird von den meisten Kollegen sehr kritisch gesehen… und wenn der Strafverteidiger so genau nachfragt, ist das genau richtig! 🙂


  4. […] Kollege Müller hat in der vergangenen Woche in seinem Posting: “Wo “Polizist” draufsteht, ist nicht unbedingt „guter Zeuge“ drin” den Umgang der Gerichte mit polizeilichen Zeugen beklagt. Teilweise kann man sicherlich von einer […]


  5. […] Manch ein Mandant sagt seufzend, dass man doch eh keine Chance habe, wenn es zwei oder mehr Polizisten als Zeugen gibt. Nicht immer muss aber ein Polizist ein guter Zeuge sein, siehe hier. […]



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