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In Sachen Abgasskandal

Juli 26, 2019

Seit geraumer Zeit bearbeite ich nun zahlreiche Verfahren aus dem Bereich des „Abgasskandals“. Reihenweise wird die Volkswagen AG durch das hiesige Landgericht zur Rücknahme der betroffenen Fahrzeuge gegen Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Der Käufer muß sich auf den Kaufpreis die „gezogenen Nutzungen“ nach der jeweiligen Kilometerleistung anrechnen lassen. Dabei ist die Berechnung dieser Nutzungen in aller Regel für den Käufer derart günstig, daß er sich mit der Rückgabe des Kfz deutlich besser steht, als wenn er das Fahrzeug selbst verkaufen müßte.

Ein kleiner Wermutstropfen lag bislang bei der Frage, von welcher „erwartbaren Gesamtlaufleistung“ des Fahrzeuges das Gericht ausgeht. Je höher die erwartbare Gesamtlaufleistung liegt, desto geringer ist schließlich der Anteil, den der Kläger „abgefahren“ hat. Nach meiner Wahrnehmung geht die überwiegende Anzahl der Richter im hiesigen Bereich von einer erwartbaren Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Dies erscheint mir auch als nicht unrealistisch. Einige wenige Richter legen ihrer Berechnung indes lediglich 250.000 km zugrunde.

Nun liegt mir in einem Berufungsverfahren ein erfreulicher Hinweis des OLG Oldenburg (2 U 194/19) vor, mit dem das Gericht der Volkswagen AG rät, die von dort aus eingelegte Berufung zurückzunehmen:

„Im Übrigen wird angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Die Auffassung des Senats zur Anwendbarkeit des § 826 BGB ist bekannt. Das Landgericht ist weiter von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ausgegangen, was der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht. Der zugesprochene Zinsausspruch begegnet keinen Bedenken.“

Das ist geradezu wohltuend angesichts der ständigen Beteuerungen der Gegenseite, daß Gerichte (angeblich) überwiegend von einer niedrigeren erwartbaren Gesamtlaufleistung ausgehen.

RA Müller

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Die Anzeige des Anonymus

Juli 17, 2019

Die „besten“ Strafverfahren beginnen mit anonymen Strafanzeigen. Es ist nachvollziehbar, daß Polizei und Staatsanwaltschaft solchen Strafanzeigen mit großer Vorsicht begegnen. Wer sich nicht aus der Deckung wagt und seine eigene Rolle nicht offenbart, dessen Motivlage für die Anzeigeerstattung ist eben auch nicht überprüfbar.

Anfang 2012 ging bei der Polizei ein Schreiben ein, in dem ein Anonymus sich berühmte, Insiderwissen zu den angeblich strafrechtlich relevanten Geschäftspraktiken meines Mandanten zu haben. Die erhobenen Vorwürfe blieben zum Teil etwas nebulös, so daß der zuständige Ermittlungsrichter den ersten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Durchsuchungsbeschlusses dann auch ablehnte.

Ein zweiter Antrag der Staatsanwaltschaft mit angepaßter Begründung führte aber schließlich zum Erfolg und die Polizei durfte noch im Jahr 2012 zahlreiche Unterlagen meines Mandanten sicherstellen.

Die Strafanzeige des Anonymus wurde hierdurch allerdings nicht wirklich erhellt, so daß sich längere polizeiliche Ermittlungen anschlossen, in deren Verlauf fast 100 Zeugen befragt wurden.

Nach Ablauf eines Jahres ließ die Staatsanwaltschaft meinen Mandanten dann wissen, daß die Polizei die Ermittlungen zu über 80 Fallakten nun abgeschlossen habe. Das Verfahren sei „etwas umfangreicher“ und rechtlich auch nicht ganz unkompliziert.

In 2015 erfolgte dann schließlich die Anklageerhebung. Meinem Mandanten wurden immerhin 53 Straftaten vorgeworfen (gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung im Amt).

Die Verhandlung über die angeklagten Taten konnte aufgrund eines Umzuges meines Mandanten in das nicht-europäische Ausland erst jetzt im Jahr 2019 stattfinden. Einige Zeugen wurden befragt. Von Dutzenden weiteren Zeugen konnten die früheren Aussagen in der Hauptverhandlung verlesen werden. Von den Anklagepunkten übrig geblieben ist in strafrechtlicher Hinsicht … nichts. Festzustellen war allein ein Verhalten meines Mandanten, welches arbeitsrechtlich zu beanstanden war, indes keine strafrechtliche Relevanz hatte. Der Mandant wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ob den Anonymus nach all den Jahren überhaupt noch interessiert wie lange er die Justiz mit seiner Strafanzeige aus dem Jahr 2012 beschäftigt gehalten hat?

RA Müller

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Pack die Zahnbürste ein

Juli 13, 2019

… und dann war da noch der Mandant, mit dem ich auf dem Flur des Gerichts auf den Aufruf seiner Strafsache wartete. Recht aufgeregt berichtete er mir, daß er vorsorglich ein belegtes Brot und einen Rasierapparat mit zum Gericht genommen habe.

Für das Brot konnte ich ja noch Verständnis aufbringen. Wer weiß schon, wie lange man auf Gerichtsfluren warten darf. Gerade in Strafsachen ist die Dauer der Hauptverhandlung nicht immer einfach einzuschätzen. Es kommen viele Unwägbarkeiten zusammen. Wird der Angeklagte eine Einlassung abgeben? Werden alle Zeugen überhaupt erscheinen? Wie intensiv wird der Verteidiger von seinem Fragerecht Gebrauch machen? Werden eventuell sogar wider Erwarten noch Zeugen mitgebracht? Oder werden Beweisanträge gestellt? Da kommt es eben gelegentlich auch mal zu erheblichen Verzögerungen.

Ich konnte mir allerdings nicht erklären, welchem Zweck der vom Mandanten mitgebrachte Rasierapparat dienen sollte. Was erwartete mein Mandant denn, wie lange seine Verhandlung dauern würde?

Mit sorgenvollem Blick klärte mein Mandant mich auf, daß er vorbereitet sein wolle, wenn das Gericht ihn heute gleich einkassiere und er in Haft gehen müsse.

Meine bereits im Rahmen der Erörterung der Ermittlungsakte erfolgten Hinweise an meinen Mandanten, daß ihm in der Sache nicht viel passieren könne und es vermutlich nicht einmal zu einer Verurteilung kommen werde, im schlimmsten Fall aber eine übersichtliche Geldstrafe im Raum stünde, waren ersichtlich nicht zu ihm durchgedrungen. Ein aus Sicht des Verteidigers „kleines“ Straferfahren kann für den Angeklagten eine enorme Belastung darstellen. Es tut allen Verfahrensbeteiligten gut, sich dies gelegentlich vor Augen zu führen.

Das gegen meinen Mandanten geführte Strafverfahren ist dann übrigens nach kurzer Verhandlung nach § 153 StPO eingestellt worden.

RA Müller

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Eine Anklageschrift, die es nicht hätte geben dürfen

Juli 9, 2019

Der Mandant hatte sich eine Anklageschrift und damit verbunden eine Hauptverhandlung vor einem auswärtigen Amtsgericht gefangen. Sechs Taten wurden dem Mandanten vorgeworfen. Doch die Beweislage war günstig. Der Täter war jeweils – wenn auch nur flüchtig/flüchtend – beobachtet worden. Die Zeugenaussagen belasteten meinen Mandanten allerdings kaum. Der Täter sei 10-20 Jahre älter als mein Mandant und habe  – anders als mein Mandant – leicht graue Haare gehabt. Nur die beschriebene Statur des Täters ähnelte der Statur meines Mandanten.

Mit fünf Zeugen wurde eine Wahllichtbildvorlag durchgeführt. Den Zeugen wurden also nacheinander verschiedene Lichtbilder gezeigt, auf denen sie den Täter identifizieren sollten. Eines der Bilder zeigte meinen Mandanten, die anderen Lichtbilder waren durch einen Computer erstellt worden. Keiner der Zeugen benannte hierbei meinen Mandanten als Täter. Ein möglicherweise leicht frustrierter Polizeibeamter zeigte dann ausweislich eines Vermerks auf das Bild meines Mandanten und wies einen Zeugen darauf hin, daß dies der Tatverdächtige sei. Der Zeuge ließ sich indes gar nicht beeinflussen von dieser wenig seriösen Durchführung der Wahllichtbildvorlage. Vielmehr entgegnete er, daß er diese Person nie für den Täter gehalten hätte. Er erkenne die Person nicht wieder.

Letztlich gibt es noch ein reichlich unscharfes Video, auf dem der Täter zu sehen sein soll. Die Aufnahme ist indes von derart schlechter Qualität, daß ich selbst nicht zu erkennen vermag, ob es sich auf der Aufnahme um meinen Mandanten handelt.

Wie es dann gleichwohl zur Anklageerhebung kam? Die Polizeibeamten hatten meinen Mandanten nach zwei Taten in der Nähe des Tatortes angetroffen. In der Nähe heißt dabei: Am hellichten Tage ca. 500-1.000 Meter vom Tatort entfernt. In einem Fall erfolgte dieses Antreffen im übrigen sechs Stunden (!) nach der Tat. Aber für eine Anklageerhebung und Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung, für die Voraussetzung immerhin eine Verurteilungswahrscheinlichkeit ist, hat es gereicht.

Nun verhandelten wir also nach mehrstündiger Autofahrt am zuständigen Amtsgericht. Zeugen hatte die Richterin gar nicht erst geladen. Deren Aussagen wären laut Akte nicht sonderlich hilfreich. „Hilfreich“ kann dabei allenfalls aus Verurteilungsperspektive geäußert werden, denn für die Verteidigung konnten die Zeugen durchaus hilfreich sein, hatten sie doch bei der Polizei Merkmale des Täters aufgezählt, die gerade nicht auf meinen Mandanten zutrafen.

Weshalb wir dann überhaupt zusammengefunden hatten? Nun, bekundete die Richterin, man könne in der Sache ja noch einen Sachverständigen an die Analyse der Videoaufzeichnung setzen. Vielleicht könne dieser ja feststellen, ob der Angeklagte mit der gefilmten Person identisch sei. Für einen Freispruch sei es daher noch zu früh. Alternativ sei das Gericht allerdings auch bereit, das Verfahren ohne Auflage einzustellen.

Meinen Mandanten hatte die Tatsache, als bis dato unbescholtener Bürger plötzlich verschiedener Straftaten angeklagt zu werden, bereits in Furcht und Schrecken versetzt. Auch hatte er nun bereits Monate auf die Hauptverhandlung warten und für die Verhandlung den heutigen Vormittag opfern „dürfen“. Er war wenig begeistert, daß die Sache heute kein Ende finden und noch mehr Zeit würde investiert werden müssen, so daß er nolens volens der Einstellung zustimmte.

Es bleibt allerdings erschreckend, mit welcher Leichtfertigkeit mitunter Anklage erhoben und diese zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Es hätte den Strafverfolgern gut zu Gesicht gestanden, vor der Hauptverhandlung das angedrohte Gutachten einzuholen. Ebenso hätte es dem Gericht  gut zu Gesicht gestanden, die Eröffnung des Hauptverfahrens bis dahin abzulehnen und die Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht als Drohmittel einzusetzen. Brrrrrr!

RA Müller

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Scheuklappen

Juni 10, 2019

Der Mandant soll von einer gefälschten Urkunde (einem ausländischen Führerschein) Gebrauch gemacht haben. Die Urkunde weiche vom Original ab und dies sei für den Mandanten auch ersichtlich gewesen. Der polizeiliche „Dokumentenprüfer“ hatte schriftlich darauf verwiesen, daß die Urkunde anhand ihrer äußeren Gestaltung als Totalfälschung erkennbar war. Im übrigen sei die Urkunde in Abwesenheit des Angeklagten ausgestellt worden. Dies sei im Herkunftsland nicht zulässig. Dies wisse man aus einer – in anderer Sache – erteilten Auskunft der entsprechenden Botschaft.

In erster Instanz wurde mein Mandant freigesprochen. Es war bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um eine gefälschte Urkunde handelte. Selbst wenn es eine Fälschung sein sollte, so wäre nicht zu erkennen, daß mein Mandant um diesen Umstand gewußt hatte. Dabei konnte mein Mandant einen Zeugen benennen, der die Urkunde für meinen Mandanten direkt von der ausländischen Behörde abgeholt hatte. Der Richter erster Instanz stellte zudem die Überlegung in den Raum, daß die abholende Person bei der Behörde möglicherweise mehr als die üblichen Gebühren bezahlt hatte, um etwaige bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Auch dies würde die Urkunde noch nicht zu einer Fälschung machen.

Den Freispruch konnte die Staatsanwaltschaft freilich nicht auf sich sitzen lassen und legte folgerichtig Berufung ein. Die Urkunde weise doch sogar sprachliche Fehler in der darauf enthaltenen englischen Übersetzung auf.

Das Gericht hat nun ergänzende Ermittlungen durchführen lassen. Diese führten zu der polizeilichen Bewertung, daß es schon einer in der Erkennung gefälschter Urkunden besonders geschulten Person bedürfe, die Fälschung überhaupt als solche zu erkennen. Vorliegend habe man dies aus der „Drucktechnik“ gefolgert. Dabei legte die Polizei auf Aufforderung des Gerichts Lichtbilder eines „echten“ Führerscheins des entsprechenden Landes vor. Siehe da: Auch dieses Exemplar ist Beleg einer nur unzureichenden Beherrschung der englischen Sprache, so daß sich diverse Rechtschreib- und Grammatikfehler finden lassen. Mein ungeschultes Auge konnte zudem keinen Unterschied in der Drucktechnik erkennen. Immerhin räumte die Polizei ein, daß die Auskunft der Botschaft zu der angeblich erforderlichen Anwesenheit des Antragstellers im Herkunftsland, um eine solche Urkunde zu erhalten, gar nicht die vorliegende Konstellation betrifft. Es sei aber gleichwohl „naheliegend“, daß die Anwesenheit vorliegend erforderlich gewesen wäre.

Aber die Polizei, eifriger Helfer der Staatsanwaltschaft, läßt sich nicht beirren und bleibt der Theorie, daß mein Mandant sich strafbar gemacht hat, treu: Wäre ja auch mißlich, wenn die ganzen Ermittlungen ins Nichts führen würden. Man verwies darauf, daß neben dem „geschulten Auge“ auch der Täter selbst das Dokument natürlich als Fälschung erkennen würde. Da davon auszugehen sei, daß mein Mandant die Tat begangen habe, habe er mithin um die Fälschung gewußt. Seine gegenteiligen Angaben seien als Schutzbehauptung zu bewerten.

Der Begriff der Schutzbehauptung erfreut sich immer dann großer Beliebtheit, wenn man Angaben eines Angeklagten nicht widerlegen kann und um Argumente verlegen ist. Wenn man es dann allerdings nicht einmal für nötig hält, die von dem Angeklagten benannten Zeugen überhaupt anzuhören, dann muß man sich den Vorwurf gefallen lassen, es nicht besser wissen zu wollen. Wer Scheuklappen tragen will, dem ist argumentativ nicht beizukommen.

RA Müller

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Aus eins mach zwei

Juni 9, 2019

Einem meiner Mandanten wird vorgeworfen, bei unklarer Verkehrslage überholt zu haben. Dabei habe zudem er ein Fahrzeug geführt, dessen Betriebserlaubnis durch das Entfernen des Endschalldämpfers erloschen sei.

Die Vorwürfe wurde durch Polizeibeamte festgestellt, welche hinter meinem Mandanten fuhren, ihn anhielten und das von ihm geführte Fahrzeug in Augenschein nahmen. Der Vorgang wurde von der Polizei an die Bußgeldstelle abgegeben, die sodann unter Bezugnahme auf dieselbe Tatzeit und -örtlichkeit zwei gesonderte Bußgeldbescheide gegen meinen Mandanten erließ: Einmal wurde der Überholvorgang sanktioniert, einmal die fehlende Betriebserlaubnis.

Abgesehen davon, daß beide Bescheide mit den üblichen Gebühren verbunden waren, enthielt ein Bescheid lediglich ein übersichtliches Bußgeld, der andere wäre dagegen mit einer Eintragung im Fahreignungsregister verbunden, würde meinem Mandanten also einen „Punkt in Flensburg“ einbringen.

Mein Mandant benannte mir mehrere Zeugen. Diese würden bestätigen können, daß der schwerwiegendere Vorwurf gar nicht zutraf. Tatsächlich wird mein Mandant indes zur Verteidigung auf keine Zeugenaussage angewiesen sein. Dies folgt aus § 84 Abs.1 OWiG:

„Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.“

Entscheidend ist der Begriff „dieselbe Tat„. Dieser Begriff ist nicht gleichbedeutend mit demselben Gesetzesverstoß. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich mehrere mögliche Gesetzesverstöße im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorgangs verwirklicht haben:

„Die Tat umfaßt dabei das gesamte Verhalten des Betroffenen, soweit es mit dem im Bußgeldbescheid bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch mehrere, sachlich-rechtlich selbständige Handlungen sind dabei, soweit sie nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang bilden, verfahrensrechtlich eine einzige Tat, die nur in einem Verfahren verfolgt werden darf.“ (BGH Urt. vom 10.12.1985 – KRB 3/85)

Zur Illustration mag die Entscheidung des OLG Naumburg vom 26.01.2016 (2 Rv 10/16) herhalten. Dem dortigen Angeklagten wurde vorgeworfen, zunächst eine Trunkenheit im Straßenverkehr begangen zu haben, anschließend im Rahmen der polizeilichen Kontrolle die Angabe seiner Personalien verweigert und schließlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Wegen der Ordnungswidrigkeit (Verweigerung der Angabe der Personalien) erging ein Bußgeldbescheid, gegen den auf den Einspruch des Betroffenen hin gerichtlich verhandelt wurde. Der Betroffene wurde dabei wegen der Nichtangabe seiner Personalien verurteilt. Diese Verurteilung führte dazu, daß der Betroffene wegen der Trunkenheit im Verkehr und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nicht mehr verurteilt werden konnte. Es handelte sich nach Bewertung des Gerichts um einen einheitlichen Lebensvorgang.

Warum der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid überhaupt Einspruch eingelegt hat? Während es nach § 84 Abs.1 OWiG bereits ausreicht, daß bereits ein Bußgeldbescheid erlassen worden ist, um der Verfolgung weiterer Ordnungswidrigkeiten, die im Zuge derselben Tat verwirklicht worden sind, entgegenzustehen, tritt diese Rechtsfolge im Hinblick auf Straftaten nur ein, wenn wegen der Ordnungswidrigkeit eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist, § 84 Abs.2 OWiG. Will der Betroffene in einem solchen Fall also seiner Verurteilung wegen einer Straftat entgehen, mag es sich lohnen, auch in einem hoffnungslosen Fall gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen.

In dem Fall meines Mandanten stand keine Straftat im Raum, so daß es für ihn bereits ausreichte, wenn wegen derselben Tat bereits ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorlag. Er konnte also froh sein, daß die Bußgeldstelle ihm nicht einen sondern gleich zwei Bußgeldbescheide geschickt hatte. So konnte er nach seiner Wahl einen der Bescheide rechtskräftig werden lassen und gegen den zweiten einwenden, daß er wegen des Tatgeschehens bereits verurteilt worden war.

RA Müller

(siehe zu einem ganz ähnlichen Fall den Beitrag hier)

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Alles ist relativ…

Mai 22, 2019

Ich glaube, ich habe gerade das umfangreichste Urteil in einer Baurechtssache zugestellt bekommen, welches ich je erhalten habe … etwas mehr als 50 (!) Seiten. Und nicht etwa bestehend aus ausschweifenden Formulierungen oder umfangreichen Fundstellen-Angaben. Alles recht straight, klar formuliert und sauber. Und ja, der Umfang war angesichts der Vielzahl an streitigen Punkten auch erforderlich.

Wenn man aber berücksichtigt, dass die Sache seit 2013 rechtshängig ist und eigentlich schon etwa ein halbes Jahr später mehr oder weniger ausgeschrieben war (und seitdem der Termin zur Verkündung einer Entscheidung  immer wieder aufgehoben und neu bestimmt wurde) sind das etwa 10 Seiten Urteil pro Jahr.

Nicht mehr ganz so beeindruckend.

Bevor irgendwer fragt, an § 198 GVG haben wir natürlich gedacht. Das war vor etwa 4 Jahren…

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Selbst und ständig

April 23, 2019

So heißt es doch, daß Selbständige selbst und ständig arbeiten. Entsprechend war ich am Ostersonntag und Ostermontag jeweils einige Stunden in der Kanzlei.

Ich mußte indes feststellen, daß es angestellten Rechtsanwälten nicht unbedingt besser ergeht. So erhielt ich am Ostermontag um 20:01 Uhr noch eine E-Mail von einer Anwältin, die in einer sogenannten Großkanzlei angestellt ist. Sie übersandte mir einen längeren Vergleichsvorschlag, den sie nach den Vorstellungen der beiderseitigen Mandanten ausgearbeitet hatte,

Auch ein Mandant rief am Ostermontag in der Kanzlei an und nahm ganz selbstverständlich an, hier einen Anwalt erreichen zu können.

RA Müller

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Die verschwundene(n) Akte(n) der Staatsanwaltschaft

April 14, 2019

In einer Unfallangelegenheit mit einem nicht ganz unerheblichen Sach- und Personenschaden benötige ich Akteneinsicht in die Ermittlungsakte, um für meinen Mandanten dessen Ansprüche durchsetzen zu können. Der Unfall hat sich bereits im Oktober (!) 2018 zugetragen.

Im Dezember ist die Akte laut Polizei an die Staatsanwaltschaft (StA) übersandt worden. Letztere teilte telefonisch im Januar mit, daß die Akte dort noch nicht registriert sei, es aber durchaus einige Wochen dauern könne bis die Akte erfaßt worden sei.

Wiederholte Anfragen in den nächsten Wochen führten leider zu keinem anderen Ergebnis. Die Akte war bei der StA auch weiterhin nicht bekannt. Ich möge mich erneut an die Polizei wenden.

Die Polizei verwies wiederum darauf, die Akte ganz sicher der StA weitergeleitet zu haben. Ich möge bei der StA einen Nachforschungsantrag stellen.

Auch dem kam ich noch nach. Wiederum einige Wochen später erkundigte ich mich nach dem Stand der Nachforschungen, da ich von der StA auf den ANtrag hin keine Rückmeldung erhalten hatte. Wieder stellte die StA fest, daß die Akte dort im System nicht verzeichnet war. Der Nachforschungsantrag? Ja, der liege dann in einer gesonderten Ablage für Posteingänge, die keiner konkreten Akte zugeordnet werden könnten. Man schaue dann in regelmäßigen Abständen nach, ob nunmehr eine Zuordnung möglich sei. Meine erstaunte Nachfrage, ob man denn nicht gedenke, die Polizei zu veranlassen, die Akte soweit möglich zu rekonstruieren, erntete ein sinngemäßes „Nein, das machen wir nicht„. Ich könne mich aber gerne an die Polizei wenden und dort noch einmal nachfragen.

Der zuständige und tatsächlich auch sehr hilfsbereite Polizeibeamte teilte mir mit, daß er selbst bereits auf die Anrufe meiner Kanzlei hin, daß die Akte bei der StA nicht aufgefunden werden könne, eine Rekonstruktion der Akte veranlaßt habe. Die rekonstruierte Akte habe er der Staatsanwaltschaft übersandt. Sie fasse immerhin 60-70 Seiten. Ich solle mich aber nicht zu früh freuen. Diese Akte sei vor mittlerweile vier Wochen an die StA gegangen. Er wisse auch nicht, was er noch tun solle. Er könne sich nur vorstellen, daß die Akten in das Zimmer eines Mitarbeiters der StA gelegt worden seien, der möglicherweise krank/auf Kur o.Ä. sei.

Da die Polizei selbst keine (in Unfallsachen: über den Unfallbericht hinausgehende) Akteneinsicht erteilen darf, verblieb ich mit dem Polizeibeamten so, daß dieser auf ein Fax-Schreiben der StA wartet, wonach er mir die Akte per E.-Mail übersenden darf. Ein erneuter Anruf bei der StA führte schließlich dazu, daß man mich mit einem hilfsbereiten Oberstaatsanwalt verband, der sich nach erstem Bemühen, die verschwundene Akte doch noch selbst aufzuspüren, bereit erklärte, der Polizei das benötigte Fax-Schreiben zu schicken.

Ich zeige mich gespannt, ob die Akte nun tatsächlich noch eintreffen wird.

RA Müller

 

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Klage über Klage

April 11, 2019

An manchen Tagen fragt man sich, wann man eigentlich „wirklich“ zum Arbeiten kommt. Ja, die Wahrnehmung von Gerichtsterminen ist auch Arbeit, die mir in der Regel zudem viel Freude bereitet. Der Schreibtisch ächzt dann aber doch bisweilen unter der Aktenlast.

Man nehme nur den heutigen Tag:

  • 09:00 Uhr: Kurze Verhandlung in einer Zivilsache vor dem Landgericht. Ich trat in Untervollmacht für auswärtige Kollegen auf.
  • 09:15 Uhr: Es schloß sich eine weitere  Zivilsache vor dem Landgericht an
  • 09:45 Uhr: Und wieder eine Zivilsache vor dem Landgericht, dieses Mal in Terminvollmacht.
  • 11:00 Uhr: Um etwas Abwechslung in den Tag zu bringen, stand nun in einer Zivilsache eine Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht an.
  • 12:00 Uhr: Den Verhandlungsvormittag schloß eine weitere Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht ab, die etwas kürzer als erwartet ausfiel, weil der einzige Zeuge durch Abwesenheit glänzte. Immerhin: Ich konnte einen durchaus erfreulichen Widerrufsvergleich abschließen.

In drei der verhandelten Fälle wird die Mandantschaft gewinnen, in einem der Fälle wahrscheinlich gewinnen und im letzten Fall wurde der erwähnte Vergleich geschlossen.

Oder wie wäre es mit einem Rückblick auf die letzte Woche:

  • Montag: Verhandlung vor einem auswärtigen Amtsgericht in einer Strafsache mit zahlreichen Zeugen (Freispruch)
  • Dienstag: Verhandlung vor dem hiesigen Amtsgericht in einer Strafsache mit ursprünglich 15 Zeugen, in der ein alle Beteiligten zufriedenstellender Weg gefunden werden konnte, der den Mandanten vor einer Jugendstrafe bewahrte und die Vernehmung der Zeugen entbehrlich machte.
  • Mittwoch: Verhandlung in einer Zivilsache mit Beweisaufnahme vor einem auswärtigen Amtsgericht. Es wurde ein Vergleich geschlossen.
  • Donnerstag: Verhandlung vor einem auswärtigen Schwurgericht in einem Mordverfahren.
  • Freitag: Fortsetzung der Verhandlung vor dem Schwurgericht.

Da freut man sich, wenn endlich Wochenende ist und man sich in aller Ruhe den Akten auf dem Schreibtisch widmen kann.

RA Müller